Der ehemalige Pestfriedhof unter der Kirche Mariahilf.

Eine schmale Treppe ganz hinten an der rechten Längsseite der Kirche (wenn man von der Mariahilfer Straße kommt). Die Treppe hinunter. Eine Tür. Unscheinbar, ich glaube unbeschriftet und wenn doch beschriftet, sehr unauffällig. Die Tür auf. Das erste eine Waschmaschine, die rumpelt. Das zweite eine freundliche, blonde Frau, die einem dünnen, kleinen Mann die Haare schneidet (eine Friseurin, die einmal im Monat herkommt und den Leuten, die wollen, die Haare schneidet, ehrenamtlich, versteht sich), daneben ein Mann mit Rasierschaum im Gesicht, ein anderer über eines der Waschbecken gebeugt wäscht sich die Haare, er wird der nächste sein “beim Friseur”, die Wände verfliest, weiß, der Boden auch, ein paar Türen, ich nehme an WC und Duschen.

Ich bin in der GRUFT.

Ehrenamtliche brauchen sie zur Zeit keine, aber ich darf an einer Führung teilnehmen. Wir sind zu dritt, zwei Mitarbeiter eines Übergangswohnheimes der Stadt Wien und ich. Da die Gruft nicht viel mehr als ein Raum ist, besteht die Führung zu 95% aus Sitzen, Reden und Schauen.

Alles, was ich höre und sehe, gefällt mir, beeindruckt mich. Das Gewölbe, dieser Raum, in dem alles stattfindet, alles Platz hat, der so vollkommen genutzt wird, in dem es keinen Quadratzentimeter gibt, der keine oder nur eine Funktion hätte, die Menschen, die hier arbeiten, man sieht ihnen an, dass sie hier arbeiten, jeder von ihnen steht mit vier Füßen am Boden und hinter dem, was er tut, hier findet man nichts feingliedriges, nur eine 150%ige unsentimentale Wärme, diese Leute holen Leute aus dem Dreck, gehen in der Nacht hinaus, suchen sie, reden mit ihnen, verarzten sie, halten ihnen die Hand hin, Jahre lang, wenn es sein muss, holen die, die die Hand irgendwann nehmen können, wieder ins Boot, entlausen sie, waschen sie, kleiden sie ein, helfen ihnen wieder auf die Beine, fangen ganz unten mit ihnen wieder an, bei der Geburtsurkunde, dann kommt der Staatsbürgerschaftsnachweis, der Meldezettel, plötzlich haben sie wieder einen Platz, wo sie hingehören, Regeln, an die sie sich halten, ein Dach über dem Kopf, in der Nacht eine Matte neben vielen Matten (bis zu 90 Menschen schlafen in diesem Raum, einmal waren es knapp über 100), untertags Wärme, nicht allein sein, regelmäßiges Essen, jeder soviel er will und annehmen kann, dann kommen die nächsten Schritte, Sozialhilfe, Pensionsansprüche geltend machen, hinführen zu einer Schuldnerberatung, der erste Schritt zum AMS, zu einer Therapie, zu einem Zimmer in einem Übergangswohnhaus, zu einer Wohnung … Und das alles passiert in diesem einen Raum, aus diesem einen Raum heraus, einer Gruft unter einer Kirche.

“Die Geister hier sind uns gut gesinnt, glaube ich.”

Kein Wunder bei der Masse Leben, das sich hier abspielt.

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