Sightseeing.

Zwei Tage durch die Stadt. Ich brauche GESICHTER zu den Namen.
Ich muss mir unter P7, bzWO, JOSI … etwas vorstellen können, ich will wissen, wie ein Sozialmarkt ausschaut, wo die Leute aus den Notschlafstellen den Tag verbringen können, wenn es draußen schüttet, mir die wichtigsten Anlaufstellen anschauen, selber mit diesen Orten Kontakt aufnehmen.
P7 - Wiener [...]

Mein erster Mörder.

Wenn’s wahr ist. In Brasilien drei Leute erschossen bei einer Auseinandersetzung in einem Slum.
“Ich sehe die drei heute noch rennen.”
Der Mann ist sehr sympathisch. Ob die Geschichte stimmt, die er erzählt, weiß ich nicht. Ich weiß oft nicht, ob die Geschichten stimmen, die die Leute erzählen.
“Ich war dafür drüben im Gefängnis.”
Er zeigt mir seinen Pass. [...]

Das erste, das ich durchs Fenster sehe, ist eine brennende Kerze.

Später sehe ich dann das Bild, vor dem sie steht: ein Gast dieser Notschlafstelle.
Er hatte Lungenkrebs. Er ist ein paar Tage zu seiner Familie nach Deutschland gefahren und dort gestorben.
Eine Woche später steht das Bild immer noch da.

“Wenn ich da bin, sollen sie nicht hungern!”

Alexander tischt auf. Geselchtes und Graupelsuppe hat er zuhause schon vorgekocht, das schleppt er in Töpfen an, das Kortoffelpürree machen wir hier, außerdem hat er noch Würste mitgebracht, Eier, Pesto. “Ich kenne sie ja.”
Er hat Recht. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wie die Wölfe. Das Fleisch ist innerhalb von fünf Minuten weg, als [...]

Er hat es geschafft!

Der alte Mann mit den vielen Krätzen. Er war beim Arzt und ist selig.
Mindestens eine halbe Stunde rennt er in Pullover und Unterhosen durch die Gegend (offenbar war er vorher unter der Dusche) und erzählt, wie freundlich “die auf der Klinik” gewesen sind. “Warum sind Sie denn nicht schon viel früher gekommen?”, hätten sie gesagt.
Er [...]

P7, bzWO, JOSI, JUCA, R3, U63 …

Aber es gibt auch andere Namen: Ganslwirt, FrauenWohnZimmer, sHäferl, die Gruft. Oder: Haus Arndtstraße, Haus Gänsbachergasse, Haus Johnstraße, Haus Schlachthausgasse. Oder: Arbeitsgemeinschaft Nichtsesshaftenhilfe Wien, Heilsarmee Österreich, Volkshilfe Wien. Oder: Haus Allerheiligen, Neustart, neunerHaus. Oder: Haus Hermes, Haus Immanuel, Haus Leo.
Irgendwie kommt keine Freude auf. Dabei sind das die Orte für die Privilegierten. Da darf nicht [...]

WIEN PLAN für Menschen ohne Wohnung.

Ein Superding. Eine Broschüre samt Stadtplan, die in jeden Hosensack passt und so gut wie alle Informationen enthält, die man als Wohnungsloser braucht:

die Stellen für die Schlaf- und Wohnplatzvergabe,
die Tageszentren,
die Nachtquartiere,
alle Sorten und Arten von Wohnmöglichkeiten,
wo man kostenlos essen kann,
billig einkaufen,
wo man Kleidung bekommt,
medizinische Betreuung,
alle Sozialzentren,
seitenweise Serviceangebote (Wohnungssuche, MigrantInnenarbeit, Gesundheitsberatung, Schuldnerberatung, Haftentlassenenhilfe, Mieterhilfe, Sozialruf),

Alles im [...]

“Die Sozialhilfe hat jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.”

Wer meint, mit diesem Satz beginnt ein Märchen, irrt. Mit diesem Satz beginnen nicht weniger als vier der neun Sozialhilfegesetze in Österreich. Er wird von keinem umgesetzt, insofern ist die Vermutung mit dem Märchen richtig, wie sollte das auch gehen, die wunderbare Brot/Fischvermehrung liegt mehr als 2000 Jahre zurück, aber im Vergleich mit anderen Staaten, [...]

” … auf den Wert dessen aufmerksam werden, was in uns schlummert.

Wir gehen auf Staub verhüllten Perlen.” (Hugo von Hofmannsthal)
Was würde der alte Mann, der sich von seinen Krätzen/Läusen/Flöhen auffressen lässt, zu einem Satz wie diesem sagen?

Die nackten Bäume im Wind sind irre schön.

Sie tragen ihr frisches Gewand noch in sich.
Wir sollten das auch tun:
Uns einmal im Jahr umziehen.
INNEN.

Gelbe Triebe, rote Triebe, grüne Triebe,

büschelweise Knospen vorm Aufplatzen, das erste Gelb in den Sträuchern, das zweite Grün, Krokusse, Primeln, Schneeglöckerln, Bärlauch. Jeder sieht das. Ich bin heuer hinten, ich sehe es erst jetzt, aber jetzt sehe ich es. Heute in zwei Wochen ist Palmsonntag.

Ein paar Tage “Obdachlosenpause”.

Sonst drücken mich die Eindrücke der letzten Wochen an die Wand, jeder ungewohnt und ungewöhnlich genug, damit muss der Organismus erst einmal fertig werden, sie verarbeiten dürfen, verdauen, sortieren, einordnen, auch die Masse an Informationen auseinanderklauben.
Ich werde mir jetzt einen großen Stein in der Sonne suchen, das Jausenbrot, den Apfel und die Saftflasche aus dem [...]

Habe ich das gleiche Recht zu brüllen, wenn mir etwas weh tut, wie sie?

Ich nehme es mir.

Anfang und das Ende vom Anfang.

Heute vor einem Monat habe ich die erste Eintragung in diesem Weblogbuch gemacht. Motorstart und Leinen los.
Heute ist Frühlingsanfang und der Boden unter den Füßen ist weg. Was ich nicht weiß: Segle ich oder rudere und fische ich im Trüben? Vor mir (am Schreibtisch) eine Ansichtskarte mit dem Hohelied Salomos von Chagall und das Fremdenrechtspaket. [...]

Ich brauche nicht einmal mehr an sie zu denken,

juckt es mich überall. Vielleicht, weil ich nicht aufhören kann an sie zu denken.
Hast dich in den letzten Tagen, Wochen ein bisschen zu weit hinausgelehnt, Mädel. Wieso musst du dich auch auf alles so einlassen, was du tust.Wieso musst du immer alles durchleuchten, bis in den letzten Winkel ausleuchten, dir alles anschauen, jeden Dreck, dir [...]

Träumerin du, besoffene Egoisten bedienst du,

die nicht einmal bereit sind jeden Tag den einen Euro für Bett, Wärme, Dusche und Essen zu geben, versaufen das Geld lieber und lassen sich hier bedienen und verteilen in ihrer grenzenlosen Selbstlosigkeit Krätzen, Läuse, weil sie nicht bereit sind …

Desolat sein dürfen.

Konrad ist klein, mager, das Gewand steht, davon bin ich überzeugt, auch ohne den Herrn, die Haare krümmen sich in alle Richtungen, mittellang, die Hände meistens schwarz, es gibt keinen, dem ich die Dusche so wünsche wie ihm, wenn er hin und wieder etwas isst und wenn er dabei redet, spuckt er, den Speichelfluss hat [...]

Eine perfekte Notschlafstelle.

Zwei Ehrenamtliche im Empfang, zwei Ehrenamtliche in der Küche, eine Ehrenamtliche spielt mit den Gästen Karten (nicht nur einer von ihnen sagt “Mami” zu ihr), ein junger Mann ist am Computer mit Listen, Formularen beschäftigt (”Ich bin für den Krimskrams zuständig.”), zwischendurch kommt eine Frau vorbei, die am Nachmittag mit ein paar Gästen irgendwo Keramik [...]

Zum Glück gibt es Notschlafstellen, die jeden nehmen.

Sonst würde mich keine nehmen. Ich bin offenbar ein höchst suspektes Subjekt. Mit meinem Blog. Mit meiner fehlenden Bereitschaft mich auf eine eingrenzen zu lassen.
Mein Verdacht, dass ich den Gästen in einigen Punkten sehr ähnlich bin, erhärtet sich von Tag zu Tag. Ich befürchte sogar, ich bin ein ziemlich schwerer Fall von Eingliederungsresistenz.
Im Namen aller [...]

Bruno, vielen Dank für die schöne Musik!

Dabei dachte ich, an diesem Abend gibt es nichts Schönes, der Dimmer muss kaputt sein, das Licht viel zu hell, keine verschwommenen Farben, die Konturen klar, überdeutlich. Dabei waren die Grenzen verschwommener als an jedem anderen Abend. Hätte man August (der Ehrenamtliche, der Nachtdienst hatte) unter die Gäste gemischt, ich hätte geglaubt, er ist einer [...]