Wir sitzen im Wohlstand und warten

Bei uns in den reichen Industrieländern ist es blitzsauber, die Infrastruktur einwandfrei, die Hygienevorschriften, insbesondere in der Lebensmittelverarbeitung, in der Gastronomie und im Gesundheitsbereich enorm. Sogar der Hundedreck muss von der grünen Wiese entfernt und in einem rosaroten oder schwarzen (natürlich kompostierbaren) Plastiksackerl bei sonstiger Strafe in einer dafür vorgesehenen Mülltonne entsorgt werden.
Den Müll und [...]

Mein täglicher Spießrutenlauf durch die Bettler

Das Guesthouse, in dem ich in Boudha wohne, liegt in der Nähe eines Klosters und dieses Kloster liegt in der Nähe des Stupa und da der Stupa von Boudha der größte und einer der berühmtesten in Nepal ist, drängen sich hier das ganze Jahr über unzählige Gläubige und in Hauptsaison-Zeiten, wie jetzt im Oktober und [...]

“Today I’ll show you the Blind Center!”

Von wegen …
13 komplett Blinde, 3 “half blinds”, 3 psychisch Kranke (ein Ehepaar mit erwachsenem Sohn), 6 alte Menschen, die keine Bleibe haben, 3 Behinderte im Rollstuhl, 7 Kinder von Blinden, die hier leben und 13 Kinder, die entweder Vollwaisen sind oder deren Eltern so arm sind, dass sie die Kinder nicht ernähren können. Insgesamt [...]

„Warum kochen wir nicht in KABUL für Straßenkinder und alleinstehende Frauen mit Kindern?“

Diese Frage stellt mir gestern allen Ernstes eine ganz liebe Bekannte, die in zwei Monaten in Pension gehen wird und die ich gefragt habe, ob sie sich vorstellen könnte, mit mir in Katmandu eine „Dalküche für Straßenkinder“ aufzumachen.
Weil ich vielleicht doch noch ein kleines bisschen älter als 67 werden möchte … ?
„Ach was! Uns [...]

Entschlackung

Damit ich meine Herbst- und Winterhosen wieder anziehen kann.
Heute Morgen, nachdem ich auf der Waage gestanden war, um zu schauen, wie viel ich in den letzten drei Tagen abgenommen habe, dachte ich: Es ist irre. Wir in den reichen Ländern müssen fasten, wenn wir gesund bleiben und halbwegs annehmbar ausschauen wollen, viele rennen durch die [...]

Ich kann es mir nicht vorstellen:

dass es ein einziges menschliches Wesen gibt, das in diesem Labyrinth von völkerrechtlichen, unionsrechtlichen und nationalen Regelungen nicht Platzangst bekommt oder zumindest massive Atembeschwerden …
dass es viele gibt, für die das ganz normal ist … spannend sogar, in den Olymp der Juristerei aufzusteigen …
dass es unzählige gibt, die dieses Labyrinth nicht einmal als Labyrinth empfinden, weil sie sich [...]

Mir fällt kein passender Titel ein …

Es gibt eine im gesamten Schengenraum verbindliche Liste der Drittländer (Staaten, die keine Schengenstaaten sind), deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenze im Besitz eines Visums sein müssen (= Anhang I der Verordung (EG) Nr. 539/2001 idgF).
Zusätzlich gibt es für die besonderen Schwergewichte unter diesen Drittländern eine weitere, ebenfalls im gesamten Schengenraum verbindliche Liste von Ländern, deren Staatsangehörige auch [...]

Ballaststoffe

galten eine Zeit lang als unnötig, lese ich, als nutzloser Ballast eben, den man besser aus den Lebensmitteln beseitigt als verzehrt, da sie für den eigentlichen Stoffwechsel (gemeint nur die Umwandlung von Stoffen?) nicht benötigt werden. Ihr Nutzen (dass sie Verstopfung vorbeugen, für eine gesunde Darmflora sorgen u.u.u.) wurde dabei vernachlässigt bzw. kaum gesehen. Er wurde erst offensichtlich, als diese Stoffe im [...]

Falsch gedacht?

In Ungarn ist vor einigen Wochen ein Verfassungsgesetz verabschiedet worden, das Obdachlosigkeit unter Strafe (Geld oder Gefängnis) stellt. Falls es die EU nicht schafft dieses Gesetz zu stoppen und es tatsächlich vollzogen wird, müsste das - logisch gedacht - für Betroffene, die keine Familie oder Freunde haben, die für sie die Geldstrafe bezahlen und sie dauerhaft unterbringen können, lebenslängliche Haft bedeuten. [...]

Pucher gegen Fekter.

Seit ich mich mit dem Thema Obdachlosigkeit und Notschlafstellen beschäftige, steht der Begriff VinziPort im Raum und der ist untrennbar verbunden mit dem Namen Pfarrer Wolfgang Pucher.
“Ein Hafen zum Anlaufen für obdachlose EU-Ausländer in Wien” soll es werden, lese ich Mitte 2009 in einer Ausgabe der Zeitschrift Armendienst (Herausgeber Vinzenzgemeinschaft Eggenberg in Graz) und frage mich (wie [...]

6 sec

Alle 6 Sekunden stirbt ein Kind an Hunger. Das sind 10 Kinder in der Minute, 600 Kinder in der Stunde, 14.400 pro Tag, der UN-Welternährungsgipfel in Rom dauert 3 Tage, in dieser Zeit sterben 43.200 Kinder, pro Monat (mit 30 Tagen) sind es 432.000, pro Jahr 5.184.000 (wenn ich für jeden Monat 30 Tage nehme). Vielleicht [...]

“Er scheißt sich an, im wahrsten Sinn des Wortes”,

beantwortet Albrecht meinen entsetzten Blick auf die dunkelbraune Unterhose des Mannes, der eben noch bei uns am Tisch gesessen ist und jetzt auf eine Tür zusteuert, hinter der eines von acht Betten auf ihn wartet. Ein Gedanke, der wie ein Feuerwerk in meinem Magen explodiert: Ist er auf dem Stuhl, auf dem ich jetzt sitze, [...]

“Viele erkennen ihre Lage nicht, wollen sie nicht wahrhaben.”

Wer will die Scheiße schon sehen, in der er sitzt? Noch dazu die, die er selber hingeschissen hat.
Wir tun doch alle, als wären wir unsterblich. Sitzen zwischen Atomkraftwerken und -bomben und schwärmen von sauberer Engergie, vergiften uns und die Welt um uns herum jeden Tag ein bisschen mehr. Man tut, was man kann und wenn [...]

Wieso lassen sich die Leute nicht helfen?

Wieso verlässt eine Frau jedes Mal die Gruft, bevor der Louise-Bus (der medizinische Betreuungsbus der Caritas) kommt? Man überlegt mittlerweile schon sie auf Grundlage eines psychiatrischen Gutachtens wegen Selbstgefährdung einliefern zu lassen, bevor es zu spät ist und ihr die Beine abgenommen werden müssen.
Wieso tut ein Mensch so etwas? Wieso schläft jemand sogar bei Minusgraden [...]

In Windeln auf der Straße.

Die Frau dürfte um die sechzig sein. Nicht groß, nicht dick, bis auf das Gesicht, das Gesicht ist dick und dunkelblau. Geduldig steht sie vor der verschlossenen Tür und wartet. Ich läute.
“Einlass ist erst ab 18:30 Uhr”, klärt sie mich auf.
“Kommen Sie öfter hierher zum Schlafen?”
“Jeden Tag.”
“Und wie lange schon jeden Tag?”
“Vier Jahre.”
Müde schaut sie [...]

Das Gesicht blau, die Stirn aufgeschlagen, der Anorak voller Blut.

“Herr Huber! Da sind Sie ja! Wir haben Sie schon vermisst! Wo waren Sie? Wieder im Krankenhaus?”
Der Mann nickt.
Wir freuen uns, dass Sie wieder da sind!”
Er lächelt. Euro hat er heute keinen. Das macht nichts.
Die Leiterin später erklärend zu mir:
“Er schaut immer so aus. Er trinkt, bis er umfällt. Außerdem ist er Epileptiker. Er ist [...]

Der Mann, der auf uns zukommt, ist drei Meter groß.

Dabei ist er nicht größer als ich. Aber er strahlt wie die Sonne höchstpersönlich.
“Gratulation, Herr Maier! Wir haben es schon gehört!”
Die Ehrenamtliche neben mir schüttelt ihm die Hand, lacht von einem Ohr zum andern. Dann bin ich an der Reihe. Ich weiß nicht, worum es geht, es ist mein zweiter Abend hier.
“Herr Maier hat die [...]

Mein erster Mörder.

Wenn’s wahr ist. In Brasilien drei Leute erschossen bei einer Auseinandersetzung in einem Slum.
“Ich sehe die drei heute noch rennen.”
Der Mann ist sehr sympathisch. Ob die Geschichte stimmt, die er erzählt, weiß ich nicht. Ich weiß oft nicht, ob die Geschichten stimmen, die die Leute erzählen.
“Ich war dafür drüben im Gefängnis.”
Er zeigt mir seinen Pass. [...]

Desolat sein dürfen.

Konrad ist klein, mager, das Gewand steht, davon bin ich überzeugt, auch ohne den Herrn, die Haare krümmen sich in alle Richtungen, mittellang, die Hände meistens schwarz, es gibt keinen, dem ich die Dusche so wünsche wie ihm, wenn er hin und wieder etwas isst und wenn er dabei redet, spuckt er, den Speichelfluss hat [...]

Notschlafstelle ist nicht gleich Notschlafstelle.

Notschlafstellen sind Persönlichkeiten, jede unverwechselbar, nicht austauschbar gegen eine andere, jede in ihrer Art notwendig, ihr Eigensinn gefragt, auch gefordert, nicht jede geeignet für jedermann, nicht einmal für jeden Ehrenamtlichen, in jeder fast jeden Tag jedes verfügbare Bett ausgelastet, jede unverzichtbar nicht nur für die, die dort bewirtet werden und die Nacht verbringen.
Keine dieser unscheinbaren [...]