Es wäre so einfach, könnte ich mich für eine Seite entscheiden

Dann könnte ich zufrieden in mir ruhend sagen: Ja. Ich bin Flüchtlingshelferin. Ich bin eine von den Guten, die darauf schauen, dass der Rechtsstaat ein Rechtsstaat ist und bleibt, dass die Menschenrechte geachtet werden, dass die Flüchtlinge ein faires Verfahren und den ihnen zustehenden Status bekommen und beschützt werden vor der Inkompetenz der Sachbearbeiter des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl).

Aber in dem Augenblick, in dem ich daran denken würde, das zu sagen, würde mir unsere eigene dürftige Kompetenz um die Ohren fliegen, die auf Seiten der vielen jungen Leute, die sich in diesem Bereich engagieren, zwar gepaart ist mit unheimlich viel Liebe und bewundernswerter Hingabe, das juristische know how in diesem asylrechtlichen Gestrüpp hält sich bei vielen aber in recht engen Grenzen. Und bei mir entdecke ich zusätzlich, dass mir auch die Liebe fehlt und die Hingabe. Ich ertappe mich vielmehr dabei, dass ich den Leuten ihre Geschichten nicht glaube oder, dass ich sie zwar glaube, mir aber denke: Na und? Wieso sollen wir in Europa es ausbaden, wenn sich in Afghanistan die Leute wegen ein paar m2 Steinwüste in einem Familienkrieg umbringen? Und dann gibt es auch die, die ich nicht verstehe und nicht achte, wie z.B. den jungen Mann heute, der eine Frau einer anderen Volksgruppe heiratet, obwohl er weiß, dass das in dem Land, in dem er zuhause ist, für seine ganze Familie lebensgefährlich ist. Ergebnis dieser Heirat (wenn seine Geschichte stimmt): Vater und Bruder wurden entführt (und getötet?), er ist mit Frau und Mutter und Schwägerin samt Kindern in den Nachbarstaat geflohen, wo die Frauen und Kinder jetzt ausharren müssen, während er hier als Flüchtling anerkannt werden will. Wenn ihm das gelingt, kann er seine Frau nachholen und hier mit ihr in Ruhe und Freiheit leben. Seine Mutter hingegen und seine Schwägerin mit Kindern dürfen ohne Mann und ohne Vater irgendwo im Nirgendwo den Rest ihres Lebens verbringen … Aber es gibt natürlich auch die, deren Geschichte ich glaube und die ich achte, wie z.B. die alte abgearbeitete Frau mit Kopftuch gestern, die zwischen ihrer in Österreich als Flüchtling anerkannten Tochter und ihren Söhnen in Tschetschenien langsam aber sicher aufgerieben wird.

Ich möchte so gern an das Gute im Menschen glauben … auch an das Gute in mir. An die Liebe in mir möchte ich glauben! Ich fürchte, das wird eine lebenslängliche Illusion bleiben. Wir sind alle miteinander ziemlich menschliche Menschen, fürchte ich.

Ich werde nie ergreifende Flüchtlingsgeschichten schreiben können, Samuel T. Auch wenn ich weiß, dass ihr mit und ohne Lügen das Recht habt, unsere scheinheilige Idylle über den Haufen zu rennen.

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