Richtigstellung: nicht zwischen allen Stühlen …

Im letzten Artikel habe ich (zu schnell drauf los) geschrieben, dass obdachlose Bürger aus anderen EU-Ländern in Österreich so gut wie nie Sozialhilfe (seit 1.9.2010 “Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung”) bekommen. Ich habe mir jetzt die europarechtlichen Vorgaben,  die österreichische Umsetzung und das Wiener Mindestsicherungsgesetz etwas gründlicher vorgenommen und …
Das Schlaraffenland haben wir hier nicht, das stimmt, und ein Selbstbedienungsladen ist Österreich auch nicht und den Brei, der nicht und nicht weniger wird, gibt es auch bei uns nicht, aber wenn der Einzelne nicht hierher kommt um ohne Gegenleistung abzusahnen, sondern sich bemüht etwas zum Miteinander beizutragen, gibt es gar nicht sooo haarsträubend wenige Möglichkeiten. 
 
Innerstaatlich relevante Rechtsgrundlagen §§ 51 bis 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz- NAG (Gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate) und für das Bundesland Wien §§ 5 und 39 Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG (Rechtsanspruch und Möglichkeit des Zuerkennens von Leistungen ohne Rechtsanspruch):
Wenn z.B. jemand nach Wien kommt, sich innerhalb von drei Monaten Arbeit sucht und arbeitet, hat er einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (etwa, wenn er so wenig verdient, dass er davon mit seiner Familie nicht leben kann) und wenn er wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig wird, bleibt ihm diese Erwerbstätigeneigenschaft erhalten und er hat auch in dieser Zeit Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (z.B. neben dem Arbeitslosengeld, wenn das sehr niedrig ist, oder der Notstandshilfe) und wenn er nach mehr als einjähriger Beschäftigung unfreiwillig arbeitslos wird und sich dem Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, hat er … und wenn er seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verliert und eine Berufsausbildung beginnt, hat er … und die Familie, die er mitbringt, hat in all diesen Fällen auch … und ab dem Zeitpunkt, ab dem er das Recht auf Daueraufenthalt hat (das ist spätestens nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt, aber es gibt eine Reihe von Tatbeständen, bei deren Vorliegen dieses Recht schon früher entsteht), hat er diesen Rechtsanspruch sowieso und zwar auch unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 und 52 NAG und die Familie natürlich auch.
Und wer keinen Rechtsanspruch hat, sich aber mehr als drei Monate rechtmäßig in Österreich aufhält (etwa, wer es nicht schafft innerhalb der ersten drei Monate eine Arbeit zu finden, aber nachweisen kann, das er weiterhin sucht und begründete Aussicht hat eingestellt zu werden), dem können Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung als Förderung zugesagt werden, wenn dies auf Grund seiner persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint. Und unabhängig davon, warum und wie lange sich jemand in Österreich aufhält, kann ihm eine Förderung als Hilfe in einer besonderen Lebenslage zugesagt werden, wenn er aufgrund seiner besonderen persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse oder infolge außergewöhnlicher Ereignisse von Armut oder sozialer Ausschließung betroffen oder bedroht ist. Eine solche Hilfe kommt allerdings nur in Betracht, wenn die Notlage trotz eigener Mittel und Kräfte nicht überwunden werden kann und die Förderung eine nachhaltige Überwindung der Notlage erwarten lässt. Diese Förderung ist also ausschließlich als Brücke über eine akute Notlage gedacht (auch zusätzlich zu Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, wenn etwa ohne Verschulden plötzlich eine große Ausgabe gemacht werden muss, die mit den Mitteln der Mindestsicherung nicht abgedeckt werden kann -  z.B., wenn im Winter die Therme plötzlich den Geist aufgibt) und nicht als Tropfen auf den heißen Stein für jemand, der auf Dauer mittel- und arbeitslos ist.
 
Diese Bestimmungen bilden ein grobmaschiges Auffangnetz, aber auch ein Schutzschild und beide Funktionen stehen gemeinsam mit den Regelungen des Fremdenpolizeigesetzes im Einklang mit der Richtlinie, die das Freizügigkeits- und Aufenthaltrecht der Unionsbürger regelt.
Viele fallen durch dieses Netz. In erster Linie die, für die der österreichische Arbeitsmarkt aufgrund der Übergangsregeln der diversen Beitrittsverträge noch nicht schrankenlos offen steht und die die Hürden des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nicht schaffen. Und auch die, die sich in diesem Leben in der untersten Schublade (oft gezwungener Maßen) schon eingenistet haben, vom Leben nichts anderes mehr erwarten, sich nichts mehr (zu)trauen, Chancen, die ihnen geboten werden, nicht (mehr) nutzen (können). Ich glaube, viele der Menschen, die Einrichtungen wie VinziPort aufsuchen, werden ab Mai 2011 auch den Wegfall der Zugangsbeschränkungen zum österreichischen Arbeitsmarkt nicht (mehr) nutzen können und viele von ihnen würden es auch nicht (mehr) können, wenn der österreichische Arbeitsmarkt auf sie warten würde. Das ist aber KEIN Vorwurf.
Ich mache aber auch Österreich keinen Vorwurf. Auch wenn das primäre Unionsrecht (das immer stärker werdende Institut der Unionsbürgerschaft in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot) und die Rechtsprechung des EuGH zunehmend in eine andere Richtung weisen. Ich finde, ein Auffangnetz für alle EU-Bürger kann nur ein gesamteuropäisches sein, eines, das alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen knüpfen (müssen).

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