Sightseeing.

Zwei Tage durch die Stadt. Ich brauche GESICHTER zu den Namen.

Ich muss mir unter P7, bzWO, JOSI … etwas vorstellen können, ich will wissen, wie ein Sozialmarkt ausschaut, wo die Leute aus den Notschlafstellen den Tag verbringen können, wenn es draußen schüttet, mir die wichtigsten Anlaufstellen anschauen, selber mit diesen Orten Kontakt aufnehmen.

P7 - Wiener Service für Wohnungslose (Caritas Wien) www.wien.gv.at

Laut WienPlan: Vermittlung von Nachtquartierplätzen, Beratung, Erst- und Notversorgung. Öffnungszeiten Mo-Fr 8 - 18 Uhr, Sa, So, Feiertage 9 - 16 Uhr.

Eingangstür geschlossen, an der Tür zwei große, grüne Zettel, auf diesen Zetteln geht es in großen Großbuchstaben um die Nachtnotaufnahme - Männer ab 23 Uhr im U63, Frauen ab 21 Uhr im FrauenWohnZentrum, Männer nur über Intervention Polizei, Rettung, Frauen offenbar auch ohne. Die Tür lässt sich nicht öffnen, verschlossen, versperrt, niemand da? Ich läute. Der Türöffner summt. Aha. Kontrollierter Einlass.

Außer mir keine Kundschaft. Ein junger Mann am Empfang/Schalter, vielleicht ein Zivi, vielleicht nicht, sympathisch auf jeden Fall. Freundlich. Außer ihm sei im Moment leider niemand da.
“Die anderen sind alle bei einer Besprechung.”
Ob ich nicht ein anderes Mal kommen will, ein Sozialarbeiter hat dann sicher Zeit für mich, den Leiter kann ich auch anrufen und mir mit íhm einen Termin ausmachen, er ist nur jetzt auch bei dieser Besprechung.
“Ich kann Ihnen nur ein paar Prospekte mitgeben, die anderen könnten Ihre Fragen viel besser beantworten.”
Ja, P7 ist die erste Anlaufstelle für Wohnungslose. Über 18 (Jahre alt) müssen sie sein. Und anspruchsberechtigt nach dem Wiener Sozialhilfegesetz sollen sie sein. Woher die Leute wissen, ob sie anspruchsberechtigt sind? Das wird mit den Sozialarbeitern hier abgeklärt. Und woher wissen die das auf die Schnelle? Die Leute, die hierherkommen, wollen ein Bett für die Nacht und nicht warten, bis irgendwelche Ansprüche abgeklärt sind. Dazu gibt es Richtlinien vom FSW (Fonds Soziales Wien). Wie ist das mit Alkohol in den Häusern? Von Haus zu Haus verschieden. Eine Kundschaft kommt. Ich gehe. Einen Eindruck habe ich. P7 hat jetzt ein Gesicht.

bzWO - Beratungszentrum Wohnungslosenhilfe (Fonds Soziales Wien) www.wien.gv.at

Laut WienPlan: Zuweisung von betreuten Wohnplätzen, Informationen über Leistungen der Wiener Wohnungslosenhilfe. Komplizierte Öffnungszeiten. Ganz offensichtlich keine Erstanlaufstelle. Termine nur nach telefonischer Vereinbarung.

Vielleicht sollte ich anrufen, ob es günstiger ist noch vor oder erst nach der Mittagspause. Nein. Heute geht es überhaupt nicht. Ohne telefonische Anmeldung und Termin überhaupt nicht. Auch gut. Auch ein Gesicht.

Asylzentrum - Servicestelle der Caritas (www.caritas-wien.at)

Nicht im WienPlan. Keine Einrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe. Hier geht es um Flüchtlinge, Asylwerber, Grundversorgung.

Alle Türen offen, überall Leute, aber nicht laut oder ungut, nur ein reges Kommen und Gehen, durch einen kleinen Innenhof, ein größerer Raum, in dem Leute sitzen und warten, auf einer Seite Schalter wie am Bahnhof, die Anmeldung, “bitte eine Nummer ziehen”, dort ist allerdings niemand, zumindest nicht vor dem dicken, zugezogenen Vorhang, vielleicht dahinter, dahinter ist Licht, es will auch niemand etwas bei/von dieser Anmeldung, keiner steht dort, alle sitzen, offenbar weiß jeder, worauf oder auf wen er wartet. Eine Frau kommt bei einer Tür heraus, eine Dolmetscherin oder Sachbearbeiterin, vielleicht beides, spricht mit einem Mann, der wartet, keine Ahnung, welche Sprache das ist, die Frau ist sehr freundlich, sehr sympathisch, dann spricht sie ein paar Sätze reines Deutsch, dann wieder diese andere Sprache, dann verschwindet sie wieder. Der Mann setzt sich wieder.

Nein. Hier hat niemand Zeit für mich.Ich werde auch niemand suchen und fragen. Käme mir dumm vor den Leuten die Zeit zu stehlen. Ich schaue mich um, das genügt, ich will ja nur einen Eindruck mitnehmen. An einer Pinwand ein Plakat: Flüchtlingsberatung am AsylGH, durch Flüchtlingsberater der Caritas, jeweils Mittwoch 8:30-12:30 Uhr, Saal 2. Es besteht auch die Möglichkeit einer kostenlosen rechtlichen Vertretung. Im Raum vor dem Warteraum an der Wand Prospekte. Deutsch, Französisch, Russisch, Chinesisch, alles Mögliche. Ich nehme mir zwei davon.

SOMA-Sozialmarkt (wien.hilfswerk.at)

“Heute wegen Umbau geschlossen”. Ein Blick durch die Glasfront. Schaut groß aus. Wie ein Supermarkt. Noch ein Anschlag: “Öffnung des SOMAS um 10 Uhr. Nummernausgabe für die Ausstellung des Einkaufspässe ab 9:30 Uhr … bla, bla, bla, … Das Betreten des SOMAS ist nur mit gültigem Einkaufspass gestattet.”

Ich stehe eine Weile. Immer wieder kommen Leute und wollen hinein, vorwiegend Frauen mit Kinderwagen und Kindern. Dann entdecken sie das Schild und gehen wieder.

Vinzi Markt (www.vinzi.at)

Nicht geschlossen, viele Informationen vor dem Eingang, ich lese keine, nur “ehrenamtliche Mitarbeiter werden gesucht”, ich gehe hinein.

Nicht groß. Die Frau an der Kassa ist freundlich, die Leiterin, die sie für mich holt, auch. Freilich kann ich mich umschauen. Der Markt bekommt die Sachen gratis, entweder Spenden oder die Verpackung ist beschädigt, oder die Ware ist abgelaufen, aber noch gut, alles, was sonst weggeworfen würde. Viel würde sonst weggeworfen.

Die lila Schokoladehasen und ein paar Packungen Waffeln machen einen recht einsamen Eindruck in dem großen Regal, Süßigkeiten gibt es nicht viele, daneben türmt sich das Calgonit, Calgonit in Massen, gegenüber ein Kleiderständer, Nachthemden in Reih und Glied neben dem Schrank mit den Tiefkühlsachen, ein Trittroller, “Wir nehmen alles, was wir kriegen.”, Obst und Gemüse ein bisschen überbraucht, frische Wurst sehe ich nicht, Käse auch nicht, viele “Waren abgelaufen aber in Ordnung”, vor allem bei den Milchprodukten.

Insgesamt: nicht viel. Verglichen mit einem “normalen” Supermarkt gar nicht viel. Mager.

JOSI - Tageszentrum für Obdachlose und Straßensozialarbeit (www.wien.gv.at)

Öffnungszeiten: täglich 9 - 18 Uhr (365 Tage im Jahr), Anschrift: U6-Station Josefstädter Straße. Zweck: ein um-und-auf-und-rundherum-Betreuungszentrum wie die Gruft, d.h. man kann sich dort nicht nur aufhalten, es gibt auch Information, Beratung, Betreuung durch Sozialarbeiter, Vermittlung von Schlafplätzen in Zusammenarbeit mit P7, frische Kleidung, die Möglichkeit sich und seine Sachen zu waschen, Sachen zu deponieren, auch ambulante medizinische und therapeutische Dienste kommen hin u.u.u., sogar eine Josi-Band gibt es, vielleicht als Pendant zur Fußballmannschaft der Gruft. Das einzige, was man dort nicht kann, ist schlafen und wer etwas essen will, kann sich in der Gemeinschaftsküche selber etwas kochen oder muss mit einem Marmeladebrot zufrieden sein. Fassungsvermögen bis zu 150 Personen. Und kein Mensch sagt Tageszentrum. “Die JOSI” heißt es. Oder “die Josefstädterstroß´n”.

Im Gegensatz zur Gruft ist die JOSI von außen nicht zu übersehen und wenn man in eine andere Richtung schaut, kommt man auch nicht um sie herum, es sei denn, man ist gehörlos. Mein erster Eindruck: Der Eingang in die Unterwelt könnte so ausschauen, verdeckt und belagert von einem Haufen zerlumpter, wankender, furchtbar verwahrloster Gestalten, die grölen, streiten, schreien, diskutieren und die umfassendsten Bewegungen machen, während sie mit ihren Bierdosen herumfuchteln oder sich an den Hälsen ihrer Doppler festhalten. Ein paar Nebelschwaden, vielleicht ein Skelett, es wäre perfekt. Würde einem von ihnen plötzlich das Fleisch von den Knochen fallen oder ein Pelz wachsen, es würde mich nicht wundern. Wer nicht den festen Vorsatz hat sich diesen Ort auch von innen anzuschauen …

Ich stehe eine Weile und schaue und überlege, was jetzt zu tun ist, dann hole ich tief Atem und tauche durch den Haufen durch und bei der Tür hinein. Drinnen ist es nicht gerade gemütlich wie in einem Kaffeehaus, aber die Unterwelt ist draußen vor der Tür und sie bleibt auch draußen. Im Tageszentrum selbst darf nicht getrunken werden, auch gegrölt und gebrüllt wird hier nicht. Und soweit ich das beurteilen kann, funktioniert das auch. Bis auf eine Frau, die an einem PC sitzt, sehe ich nur männliches Personal und zwar ein paar kräftige, junge Männer. Ein Raum ist für Raucher, ein anderer für Nichtraucher, in dem läuft der Fernseher. Ein paar bekannte Gesichter. Groß ist die Welt der Obdachlosen nicht. An der Theke aufgeschnittenes Brot und Marmelade.

Einer der jungen Männer nimmt sich meiner an, ganz freundlich, redet mit mir, beantwortet meine Fragen, während er herumwerkt, aber nicht lange. Eine Gestalt wankt bei der Tür herein, auf die Theke und das aufgeschnittene Brot zu, siehe da, schon wieder ein bekanntes Gesicht, klaubt in den Brotscheiben herum, schreit und spuckt dem jungen Mann ins Gesicht, warum es hier nichts Ordentliches zu Essen gibt, nur Marmeladebrote. Es ist Konrad mit seinen tiefschwarzen Fingernägeln und dem penetranten Geruch (ich nenne ihn für mich den kleinen Stinker). Ich beobachte den jungen Mann. Ruhig wischt er sich den Konrad´schen Sprüregen aus dem Gesicht und vom Pullover.
“Du spuckst, Konrad.” Ganz freundlich.
“Ich spucke? Ich spucke doch nicht!” Der nächste Strahl.
“Und du hast hier Hausverbot, Konrad. Das weißt du genau.”
Und bevor Konrad zum nächsten Duschstrahl ansetzen kann, steht er schon draußen vor der Tür. Sanft, aber blitzschnell hinausgeschoben. Das habe ich mir in der Gruft schon gedacht: Die Leute, die in diesen Einrichtungen arbeiten, sind super. Der junge Mann steht jetzt vor der Tür. Innen. Konrad brüllt draußen. Ein paar Leute wollen herein. Der junge Mann gibt einem anderen jungen Mann ein Zeichen und der lotst die Leute bei einer Nebentür herein. Dann deutet er mir und zeigt nach hinten. Einer der Sozialarbeiter ist jetzt frei.

“Fünf Minuten habe ich Zeit. Dann kommt der Nächste.”
Er nimmt mich mit in ein Besprechungszimmer. Zwei Fragen. 1) In der JOSI werden, so wie in der Gruft, nur die Leute im Rahmen der Wiener Wohnungslosen(also Sozial)hilfe betreut, alle anderen werden in die Lacknergasse geschickt (Tageszentrum St. Josef). Die große Problemgruppe zur Zeit seien die EU-Bürger, die hier keinen Anspruch auf Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld haben. Für sie gibt es nichts. Keine Grundsicherung, keine Schlafplätze, eigentlich auch keine Tageszentren. 2) Konrad kennt er. Er bekommt Sozialhilfe und hatte auch eine Wohnung oder ein Zimmer über die Wohnungslosenhilfe. Er war aber derart aggressiv, dass man ihn hinausgeworfen hat. Deshalb ist er jetzt wieder auf der Straße. Würde er nicht so viel trinken, würde er vielleicht nicht so aggressiv sein, er würde jederzeit ein Zimmer bekommen. Ein Kopf kommt bei der Tür herein. Der Nächste. Ich hinaus.

Ein letzter Blick in die Runde, dann bei der Nebentür ganz hinaus. Ein paar Meter weiter schreit Konrad immer noch herum. Am liebsten würde ich ihm einen Arschtritt verpassen. Schwimmt voll im Sozialhilfetopf, plärrt herum, wenn man ihm nicht zweimal am Tag ein warmes Essen serviert, nimmt Leuten, die im Gegensatz zu ihm keinen Cent vom Staat bekommen, Bett und Essen für 1 Euro weg, stinkt, spuckt, schreit und lässt sich von einer Gruppe saudummer Ehrenamtlicher durchs Leben tragen. (Über wen ärgere ich mich mehr - über ihn oder über mich?)

MigrantInnenzentrum (Caritas Wien) www.caritas-wien.at

Laut WienPlan: Beratungsstelle für MigrantInnen in Notsituationen.
Im Gebäude der Caritaszentrale, sehr sauber, neu, gepflegt, die Frau am Empfang/Schalter sehr freundlich, telefoniert sofort, in einer Stunde hat die Leiterin für mich Zeit. Die Leute, die warten, sind auch gepflegt.

Nein. Das ist keine Anlaufstelle für Rumänen und Polen, die hier Arbeit suchen und nicht finden. Auch nicht für den ewig arbeits- und geldlosen, abgeschmierten Koch aus Bayern. Die Leiterin bestätigt das. “Wir sind niederschwellig, aber so niederschwellig sind wir nicht.”

Tageszentrum St. Josef (Caritas Wien) oder “die Lacknergasse”

Tür zu, versperrt, darauf ein Zettel: “Während der Ausspeisung 12:00-12:30 Uhr kein Zugang oder Zutritt von außen”. Es ist 12:30 Uhr. Ich läute.

Eine dünne, zahnlose Frau mit Zigarette öffnet, lacht mich an:
“Willkommen in der Wärmestube!”
Ich sage, was ich will (mir das Tageszentrum anschauen).
“Da müssen Sie warten. Die Ausspeisung ist noch nicht fertig.”

Ein Blick auf die vollgefüllten Tische. Jeder Sessel besetzt. Die Teller noch voller als die Tische. Nein. Ich will nicht warten. Fertig.

Meine Sightseeingtour ist beendet.

Nachtrag vom 22.6.09: Zu Konrad: Wunsch nach Arschtritt retour. Er schläft fast nie in einer Notschlafstelle, also nimmt er auch fast nie jemandem ein Bett weg (siehe Eintrag “Ausgewildert” vom 22.4.09).

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