Wir zwei haben VIEL erreicht, Oma!

Ich war sicher nie eine Tochter, wie du sie gern gehabt hättest und du warst keine Mutter, wie ich sie gern gehabt hätte. Alles andere als das. Du warst für mich, die ich dem Dienstmädchen (zum Glück dem liebevollsten auf der Welt) zur Betreuung und deinen Eltern zur Erziehung zugewiesen war, eine kalte, unerreichbare Fremde. Als ich mit 14 Jahren mein Elternhaus, in dem ich jetzt sitze und schreibe, verließ, tat ich es mit riesengroßer Freude und empfand das Internat, in das ich geschickt wurde („um eine standesgemäße Erziehung zu erhalten“), im Vergleich dazu als Paradies und die anschließenden Studienjahre als Freiheit pur. Mit meiner unterkühlten, nur auf Titel, Stand und Ansehen bedachten Familie wollte ich nur mehr so viel zu tun haben, wie unbedingt notwendig war. Ich dachte nie, wirklich nie an dich und fuhr nur „nach Hause“, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

Aber du warst hartnäckig. Du hast den Kontakt nie ganz abbrechen lassen, du hast dich um mich aus der Ferne bemüht und gekümmert, obwohl du von mir nie ein Danke dafür gehört hast, und auf diese beharrliche Weise hast du mich im Lauf der Jahrzehnte so weit in deine Nähe geholt, dass wir es geschafft haben, die hunderttausend Knöpfe zwischen uns aufzulösen und zwar so, dass am Schluss keiner mehr übrig war. Dieser Prozess hat 66 Jahre gedauert, aber wir haben es geschafft! Ohne einen gegenseitigen Vorwurf durften wir das letzte Stück deines Weges miteinander gehen und uns in gegenseitiger Achtung, gegenseitigem Verstehen und Liebe voneinander verabschieden.

Wir haben miteinander Frieden schließen können, Oma! Das grenzt für mich an ein Wunder und ist VIEL wertvoller als irgendein Erbteil.

Vor ein paar Jahren noch hätte ich mir das nicht vorstellen können, vor einigen Monaten noch hatte ich Angst, dass an deinem Sterbebett möglicherweise irgendwelche tief vergrabenen, nie an die Oberfläche gelassenen furchtbar finsteren Gedanken, Gefühle aus mir hervorbrechen könnten. Aber da war nichts mehr, nur Achtung, Verständnis und Liebe.

Omalein, DANKE für alles! Wir sind beide winzige Menschen, aber wir haben uns sehr bemüht. Du mehr als ich. Und wir haben es geschafft!!! Wir haben „die Kurve gekriegt“!!!

Die Kommentare sind geschlossen.