Die Woche um Ostern

Würden sich die zweiundfünfzig Wochen, die ein Jahr hat, vor mir in einer Reihe aufstellen und müsste ich eine herausnehmen, ihr ein Pickerl mit der Aufschrift ‚meine Lieblingswoche’ verpassen und sie wieder in die Reihe zurückstellen, würde ich ohne zu denken nach der Woche um Ostern greifen (wollen) und feststellen (müssen), dass das nicht möglich ist. Und dann würde ich hoffentlich gleich zu lachen anfangen (können), weil das zu dieser Woche passt wie das Osterei ins Nest. Diese Woche hat so überhaupt nichts Normales und steht trotzdem nicht außerhalb. Sie lässt sich so wenig in die Reihe der Kalenderwochen eingliedern, wie es möglich ist sie aus den Gliedern dieser Reihe herauszuschälen. Sie hat nicht einmal einen Namen, dabei hat sie so viele, aber jeder beleuchtet nur einen Aspekt. Sie hat keinen Alltag, keine gleichbleibende Nummer im Kalender, weil keinen gleichbleibenden Standort im Jahr, nicht einmal die für eine Woche vorgesehene Anzahl von (nur) sieben Tagen. Und wenn man sich auf sie einlässt, steht man ziemlich bald vor einem Rätsel oder vor einem Mysterium.

Jeder einzelne ihrer Tage ist etwas Besonderes mit seinen Sprücherln, Gebräuchen, seiner Geschichte. Vom Palmbuschen bis zum Spinat, vom Osternesterl bis zur Dornenkrone, Hasenschwanz bis Essigschwamm, Feuerrad und Grabtuch, Würfelspiel, Hahnenschrei, Unmengen bunte Eier und (k)eine Leiche. Diese Woche umfasst alles. Etwas nur hat keinen Platz. Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit, Leere. Diese Woche ist so voll(er Ungereimtheiten), dass man sich wundert, dass sie nicht platzt. Liebe und Hass, Freude und Leid, Leben und Tod stehen in ihr so nahe beisammen wie sonst nie. Man kann sie genauso wenig auseinander klauben in diesen Tagen wie den Gekreuzigten und die Göttin der Morgenröte. Sie sind ineinander verflochten wie ein Striezel.

Der Palmsonntag ist der erste dieser Tage und er eröffnet (mit seinem Hosianna-Geschrei und Ölzweig-Gefuchtel) den Reigen einer Reihe von (fast irrsinnigen) Tagen, die vom Tiefsten bis zum Höchsten alles umfasst. Er ist der Anfang von etwas, dessen Ende (nicht weniger irritierend wie sein) Anfang ist. So wie Judas der Zwillingsbruder von Jesus ist. Jeschua und Jehuda. Hätte Judas nicht getan, was (man sagt, dass) er getan hat, hätte Jesus nicht tun können, was (man sagt, dass) er getan hat. Er hätte den Menschen nicht zeigen können, dass seine Liebe unzerstörbar ist wie er. Judas hat diese Unzerstörbarkeit(en) sichtbar gemacht. Nicht weniger. Judas ist “gut”. Judas ist “schlecht”. Ich möchte die Dinge nicht nur von einer Seite sehen. Wenn man eine Tür immer nur von innen sieht, wird man nie wissen, was und wie es draußen ist. Man wird mit der Zeit nicht einmal mehr wissen, dass die Tür eine Tür ist. Aber nicht, weil die Tür keine Tür ist.

Heute ist Karfreitag und ich befinde mich mitten in einer frühzeitig eingebremsten Entschlackungskur, weil mein Herz befindet, ich soll das Nichts-Essen (das ich bei meinen bisherigen Entschlackungskuren immer gemacht habe) lassen. Also lasse ich es und esse nur weniger, salzlos, ohne Kaffee, wie das halt so geht in einer Entschlackungskur. Ich nehme zur Kenntnis, dass ich 67 Jahre alt bin und mein Körper diese Extreme nicht mehr will. Es hat einige Tage gedauert, das zu akzeptieren, aber jetzt bin ich damit zufrieden. Ich möchte keinen Tag jünger sein, ich werde mir nie meine Falten aufpolstern lassen und (fast) nie Schminke ins Gesicht schmieren. Es ist ok so. Zurückgeworfen werden auf das Wesentliche ist ein wesentlicher Punkt einer Entschlackungskur, für mich, die ich ohnehin nicht dick bin, der wesentlichste. Diese wenigen Tage jetzt sind sehr wertvoll und sie sind dabei, mir langsam und vorsichtig einige - ganz einfache - wertvolle Einsichten zu bringen.

Ich rate jedem, der eine Entschlackungskur macht: Klinkt euch in dieser Zeit aus dem “Normalen” aus. Nehmt euch die Zeit für euch und die Stille. Was kann einem Menschen besseres passieren, als zurückgeworfen zu werden auf das Wesentliche? Genau das ist Ostern.

Der Karfreitag ist nicht der letzte Tag dieser Woche. Der Ostersonntag auch nicht. Vielleicht gibt es keinen letzten Tag.

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