(M)ein altes Haus

Im linken Ohr pfeift es. Der linke Fuß ist nicht in Ordnung. Die gesamte linke Körperhälfte wird immer seltsamer. Sogar die Hämorrhoiden spür/hab ich nur links. Ich bin auch als Körper zwei. Nur die Stirnhöhlen sind sich einig und empfindlich wie die Prinzessin auf der Erbse. Und meine Haut schaut rundherum zunehmend aus wie eine der gestopften Unterhosen meiner Großmutter. Der Chirurg, zu dem mich der Hautarzt schickt, ist zwar sehr nett, aber …

Ich werde alt. Ich dachte nicht, dass es sooo schnell geht. Dabei sind meine Wehwehchen Kinkerlitzchen im Vergleich zu den Krankheiten, die andere in meinem Alter schon haben. Ich bin eine typische wehleidige Intellektuelle, die die “körperliche Präsenz” nicht gewöhnt ist. Mein Körper hat mich 50 Jahre lang so gut wie nie gestört. Wenn ich nicht wollte, war er nicht da. Ich spürte ihn nicht. Er belastete mich nie.

Jetzt tritt er aus dem Schatten. Seit ich 50 bin, jedes Jahr ein Stück mehr. Ein neuer Lebensabschnitt, sagt man. Wie mit ihm umgehen? Weiter von einem Arzt zum anderen rennen (um mich dann erst recht zwischen mindestens zwei verschiedenen Meinungen entscheiden zu müssen)?

Ich weiß schon. Ich muss aufhören alle Beschwerden beseitigen zu wollen wie lästiges Ungeziefer, sie als Gitterstäbe zu empfinden, die mir meine Freiheit Stück für Stück nehmen.  Ich muss mit meinen 57 Jahren endlich anfangen meinen treuesten Begleiter wahrzunehmen, als Freund, Dach über dem Kopf, auch als Lehrer, Reiseführer. Wir gehen meinen/seinen Weg bis zum letzten Schritt gemeinsam. In Frieden oder im Krieg.

An sich mag ich alte Häuser. Ich liebe sie. Heute hab ich wieder ein ganz besonders schönes gesehen. Ich gehe diesen Weg so oft in der Früh, aber meistens offenbar blind, weil in hunderttausend Gedanken eingesponnen. Seit ich versuche diesem Heuschreckenschwarm hin und wieder zu entwischen und da zu sein, anwesend, gedankenlos präsent, tritt fast jeden Tag ein anderes aus der Reihe und zeigt mir seine Schönheit.

Die Kommentare sind geschlossen.