Die Zeit zwischen Tod und Begräbnis

ist über weite Strecken eine Josef-Hader-Kabarett-taugliche Zeit. Er könnte Stadthallen mit diesem Thema füllen. Die Zuschauer würden noch Tage später Bauchweh vom Lachen haben. Er müsste nichts aufpolieren. Nur die splitternackten Fakten erzählen. Mit seiner Stimme. Dazu sein Gesicht wäre ein Traum.

Wir waren glücklicherweise wenigstens zu zweit bei diesem Run durch den Dschungel der Kompetenzen von Bestattungsunternehmen, Standesamt, Pfarrkanzlei, Pfarrer, Gemeinde, Totengräber und Steinmetz. Für Neulinge auf diesem Gebiet ist es ein hartes Stück Arbeit, abzuklären, wer welchen Handgriff wann tut, damit sich nicht irgendwo zwischendurch ein kompetenzloses Loch auftut, in dem der Verstorbene verschwindet oder vor dem er abgelegt wird, weil niemand da ist, der für den nächsten cm des Weges bis „in die Grube“ zuständig ist

Erschwerend kam bei uns noch dazu, dass wir uns diverse Eier selber legten. Aber es musste ja alles perfekt sein, durchgestylt wie das Menü eines Haubenkochs.

So hatten wir einen Priester für die Messe gewählt, der unserer Familie nahesteht, aber erstens nicht der für den Ort zuständige und zweitens schon in Pension und bis zum Tag vor dem Begräbnis in Italien auf Urlaub war. Das führte dazu, dass der Priester vor Ort zwar sehr hilfsbereit und freundlich war, in der Sache selbst aber immer wieder sagen musste: „Das müsst ihr bitte mit eurem Priester abklären.“ Der aber nicht erreichbar, weil im Urlaub war …

Dazu kamen der Blumenschmuck, die verschiedenen Sorten von Musik, die Gestaltung des Lebenslaufes, die Formulierung der Fürbitten, damit verbunden die innerfamiliäre Diskussion, wer was (nicht) liest, die verzweifelte Suche nach einem ganz bestimmten irischen Reisesegen, der aber weder im Internet noch sonstwo aufzutreiben war, die Organisation der Sargträger, des Kreuzträgers, des Vorbeters samt Rosenkranztermin (in dieser Gegend ist Rosenkranzbeten bei Teilen der älteren Generation noch wichtig und war es auch für unsere Mutter), nicht zu vergessen das feudale Totenmahl, ganz wichtig auch das passende Gewand kaufen oder sich schicken lassen … und natürlich massenhaft Telefonate führen und möglichst blitzartig die Parte gestalten und verschicken, nachdem alle Termine fixiert und alle Adressbücher gesucht, einige gefunden und diese durchgeackert waren, und zwar so frühzeitig, dass die Empfänger auch die Chance hatten, zum Begräbnis anzureisen, wenn sie wollten.

Wir hätten einiges einfacher machen können. Aber wir wollten, dass alles schön und so wird, wie unsere Mutter es sich vielleicht gewünscht hätte. Hätte sie sich das alles gewünscht? Sie hatte sich sehr verändert im Lauf ihres langen Lebens, war sehr einfach geworden, bescheiden.

Und wo war sie eigentlich, während wir mit der Choreographie ihrer Abschiedsvorstellung beschäftigt waren? Weit weg in einem Kühlraum. Zuerst im Kühlraum des Krankenhauses, dann in dem der Bestattung. Erst am Tag vor der Aufbahrung wurde der Körper herausgeholt, schön angezogen („Entschuldigen Sie die Frage: Ihre Mutter hat noch drei Ringe an den Fingern. Sollen wir die herunternehmen?“ „Um Himmels Willen! Nein!“) und in den Sarg gelegt, der sofort verschlossen wurde und anschließend nicht mehr geöffnet werden konnte. Am Morgen des Aufbahrungstages wurde der Sarg in die Aufbahrungshalle gebracht, wo die Gärtnerei schon mit dem Blumenschmuck wartete und Kerzen und Weihwasser und Sonstiges.

Meine Großeltern waren noch drei Tage lang bei uns zuhause aufgebahrt worden. Offen. Jeder konnte sie anschauen. Berühren. Undenkbar unhygienisch …

Noch früher hielten die Nachkommen drei Tage und Nächte lang Totenwache bei den Verstorbenen. Noch undenkbarer …

Und was ist mit den Traditionen und alten Schriften, die sagen, dass sich die Seele eines Menschen erst drei Tage nach dem Tod des Körpers ganz von diesem lösen kann? Alles Humbug?

Wenn mein Bruder und ich in diesen Tagen am Abend hundsmüde in halbwegs trauter Zweisamkeit am Balkon saßen, grübelten wir oft, wie es unserer Mutter jetzt wohl gehen mochte … allein, weit weg, in einem Kühlraum. Der Gedanke war SEHR unangenehm. Tröstlich war nur das Wissen, dass sie dieses Schicksal mit allen Verstorbenen der zivilisierten westlichen Welt teilt.

GUT waren in dieser Zeit die Spaziergänge, die vielen brennenden Kerzen, einzelne Gespräche und die zwangsläufige Gefahrengemeinschaft und gegenseitige Rücksichtnahme zweier seit Kindertagen auf Konfrontation programmierter Geschwister.

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