Der Mönch und seine Schwester.

Eine kleine Gompa am Rand des Waldes. Irgendwie auch am Rand des Dornröschenschlafs. Auch die Baustelle unmittelbar vor dem Gebetsraum wirkt eingeschlafen. Verstaubt. Blumen wuchern, alles wuchert. Wunderbar verwildert. Sonne scheint. Ich verschwitzt. Auf der Stiege vor der Gompa ein Mönch. Wie der Wächter des Schatzes im Silbersee. Und wie dieser hat er den Neuankömmling längst entdeckt.

“May I come in?” Erfreut über den unerwarteten Besuch springt er auf, lacht mich an. “Of course. Come in!” Im Nu entledigt er sich der obligaten Gummischlapfen, die hier so gut wie jeder trägt (und zwar zu jedem Anlass - egal, ob Arbeiter auf einer Baustelle, alte Tibeterinnen in ihrer Tracht, junge Schönheiten in feiertäglichen Glitzergewändern, Mönche … - die nackten Füße stecken in Gummischlapfen oder in Turnschuhen, Sandalen sieht man bei den Touristen, normale Schuhe trägt hier so gut wie keiner und wenn doch, stechen sie ins Auge wie neonfarbene Blinklichter) und verschwindet mit einer einladenden Handbewegung ins Innere des Gebetsraumes. Ich ziehe meine Turnschuhe aus und folge dem liebenswerten dünnen Mann dankbar in den Schatten des Innenraums.

Mein erster Eindruck vom Dornröschenschlaf scheint nicht ganz falsch. Was ich hier sehe, ist nicht nur ein Gebets- sondern auch ein Wohn- und Schlafraum. Mindestens  zwei Betten, eine Bank, Säcke, Gewand … Der Mönch führt mich sofort nach vorne, zur Buddhastatue und den Bildern, sonstigen Statuen, Lichtern, Gefäßen (bei uns würde man Altar sagen), gibt mir bereitwillig auf alle meine Fragen Antworten,  beginnt dann etwas zu beten. Für mich sei das gewesen, erklärt er mir nachher, er habe jetzt für mein Glück gebetet und wenn ich wolle, könne ich jetzt etwas spenden. Er macht dabei einen so ernsthaften und liebenswerten Eindruck, dass ich mich über seine Frage nach einer Spende (auf die ich mittlerweile zunehmend allergisch reagiere) gar nicht ärgere. Dabei zeigt er auf das Gefäß, das in jedem Gebetsraum zu finden ist und in dem immer Geldscheine stecken, längs gefaltet, wie Blumenblätter, im konkreten Fall nicht allzuviele und zum Teil schon reichlich vergilbt, wie mir scheint. Übermäßig viele Besucher dürften nicht in diese Gompa kommen. Allerdings liegen auch Mandarinen und Bananen daneben. Ob er die hingelegt hat? Auch Kekse. Von denen will er mir gleich eine Packung in die Hand drücken … Dann erzählt er von der neuen Gompa, die er mit dem Geld errichten will, gleich hier vor der Tür. Er zeigt auf das seltsame Baugerüst.

Da regt sich etwas im hinteren Teil des Raumes. Erst jetzt bemerke ich, dass in einem der Betten jemand liegt. Eine alte Frau. “That’s my sister. She is old and very sick.” Die alte Frau liegt unter fast ebenso alten Decken, still und ergeben in ihr Schicksal. “Does she need medicine?” “Yes, but we don’t have any money.”

Ich gebe ihm Geld. “This money is for your sister, not for Buddha. Buddha doesn’t need any money.”

Er lacht mich an, freut sich sichtlich, geht mit dem Geld zum Bett seiner Schwester, redet mit ihr. Für mich ist es Zeit zu gehen. Ich verabschiede mich von den beiden und wünsche der alten Frau alles Gute.

Wo das Geld wohl landen wird? Bei einem Arzt oder Apotheker oder doch in diesem suspekten Gefäß? Und wenn es in diesem suspekten Gefäß landen sollte, um dort zu verstauben und zu vergilben - wird dies auf Geheiß des lieben Mönchs oder auf Wunsch seiner kranken Schwester geschehen?

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