Jeden meiner Ausflüge bezahle ich

mit zwei bis drei Tagen Stillstand. Im wahrsten Sinn des Wortes. Nicht gehen, nicht sitzen. Stehen, liegen.

Etwas in mir legt sich quer. Hat offenbar panische Angst. Wovor?

Ob die alten Griechen die Weinstöcke auch wie Hunde an die Kette gelegt haben?

 

 

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Manche schauen aus, als ob sie gerade erdrosselt worden wären …

 

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Jeder hat ein Gesicht,

 

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aus dem der junge Wein herauswächst, wie aus einer uralten offenen Wunde.

 

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Ich werde blödsinnig.

Ich sammle nicht nur den Müll der anderen (Wanderer, Sportler, Campierer) ein bei meinen Morgenspaziergängen. Ich stolpere durchs Unterholz, höre dem Wald zu, lehne an meinem Baum, spüre die weichen Blätter über die Haut streichen, studiere die verrenkten, jetzt noch nackten Körper der in Reih und Glied gezwungenen Weinstöcke, freue mich über die dottergelben Löwenzähne, die es schaffen, zwischen den Steinen am Weg zu überleben und dabei dermaßen sonnig auszuschauen, betrachte ewig lang die Jahresringe der übereinander gestapelten Stämme der frisch gefällten Bäume, bin fasziniert von den vielen, vielen perlenden Harztropfen, die sich durchs Holz herauspressen und im Licht glitzern wie Morgentau, streiche mir ein paar Tropfen der entsetzlich gut riechenden cremigen Flüssigkeit über einen Handrücken, die Finger, stecke einen Finger in den Mund, schmecke, koste, finde den klebrig harzigen Geschmack ok, plage mich zuhause mit Zitrone und Seife, meine Hände wieder zu entkleben und angreifbar zu machen, entdecke, dass meine (für meine Begriffe) sauteure Sporthose auch zwei Harzflecken abgekriegt hat, und finde sogar das ok …

Und wenn nicht die Gedanken kreisen und die Bücher,

kommt uralte Scheiße hoch. Kein Wunder, dass sich mein Darm quer legt. Was ich hier mache, erinnert mich zunehmend an meine Entschlackungskuren. Die erste Kur (10 Tage nichts essen) habe ich mit Mühe durchgehalten, die zweite habe ich abgebrochen …

Wie heißt es in meinem klugen Buch?  … das Dasein so nüchtern und realistisch betrachten, wie es tatsächlich ist, ohne irgendeiner Erkenntnis auszuweichen - und sei sie noch so unangenehmalles, was an Gefühlen existiert, hochkommen lassen

Jetzt kreisen nicht nur meine Gedanken,

jetzt kreisen auch noch die klugen Bücher (zu den Themen Wu Wei und Ernährung), die ich in den letzten Wochen gelesen habe, in meinem Kopf und sagen mir, was ich wann/wie (nicht) tun soll …

Wie ein Stück Möhre köchelt man/frau in seinen/ihren Gedanken dahin.

Die wunderbare Suppe, die sich nie auslöffeln lässt. Urteil: lebenslänglich.

Wie Herdenhunde, die um mich herumflitzen und wen oder was vor wem oder was beschützen? Ein Netz, das mich umfängt, Schwärme von Fischen, Fliegen, Hornissen, Heuschrecken, (Stech)Mücken. Kaum ist ein Schwarm weg (weil ich es geschafft habe ihn bewusst zu durchbrechen), ist der nächste da, so schnell kann ich gar nicht reagieren, sie abwehren, immer andere, neue, als gäbe es nichts anderes als Gedankenschwärme. Könnte ich meine in verschiedenen Farben sichtbar machen, würde mein Kopf ausschauen wie das Great Barrier Reef.

Dabei ist es schön, wenn keine Gedanken da sind. Frei. Weit. Tief.

Im Augenblick leben ist (für mich) wie eine Fremdsprache lernen.

Und eine Fremdsprache lernen ist wie Muskeltraining. Auf die Schnelle geht gar nichts. Regelmäßig, Ausdauer. Und noch so ein schreckliches Wort. Disziplin. Die Leere eines nicht enden wollenden Sonntag Nachmittags voll ausschöpfen …

Das große Frühlingssterben

ist voll im Gang. Vor einer Woche noch hatte das Weiß an den Bäumen und Sträuchern noch kräftige, feste Körper. Jetzt weht es wie Brautschleier über die Wege, schneit bei den offenen Fenstern und Türen herein. Wenn ich nicht aufpasse, trinke ich es mit meinem Frühstückskaffee. Ich sollte nicht zu viel aufpassen.

Was spricht dagegen ein Stück vom Brautschleier zu trinken?

“Wenn ich esse, esse ich.”

Dieser simple Satz wiegt eine Tonne für chronische Nebenbei-Esser wie mich. Frühstücken, ohne dabei vor dem Computer zu sitzen oder Tagebuch zu schreiben oder zu lesen. Abendessen nicht bei Zeit im Bild.

Nur essen … Was für eine Zeitverschwendung! Was für eine Herkulesarbeit. DA sein.

Ballaststoffe

galten eine Zeit lang als unnötig, lese ich, als nutzloser Ballast eben, den man besser aus den Lebensmitteln beseitigt als verzehrt, da sie für den eigentlichen Stoffwechsel (gemeint nur die Umwandlung von Stoffen?) nicht benötigt werden. Ihr Nutzen (dass sie Verstopfung vorbeugen, für eine gesunde Darmflora sorgen u.u.u.) wurde dabei vernachlässigt bzw. kaum gesehen. Er wurde erst offensichtlich, als diese Stoffe im “uneigentlichen” Stoffwechsel fehlten. 

Menschen wie ich, die der fetten Kuh Wirtschaftswachstum keine Nahrung sind und nichts zur Förderung und zum Erhalt der bestehenden Strukturen beitragen, sind so unnötig wie die Ballaststoffe. Was würde (nicht mehr) passieren, wenn wir Unnötigen nicht mehr da wären? Worin liegt unser Nutzen? Haben wir auch etwas mit Entgiftung zu tun? 

Und was würde (nicht mehr) passieren, wenn der Ballast Mensch nicht mehr da wäre? Würde er der Erde fehlen? Kaum vorstellbar, aber  …

Ich tu nichts,

außer es mir richtig gut gehen zu lassen. Ist das entsetzlich oder schön? Mein Darm zwingt mich dazu.

Ich schwelge in Gemüse, Obst, Trockenfrüchten, Vollkornprodukten, -flocken und Rezepten, entdecke, dass ich gute Bücher zum Thema “gesund essen” in meinen Regalen stehen habe, beschäftige mich mit weltbewegenden Dingen und Themen wie Ballaststoffen und Entgiftung, stehe vor 6 Uhr in der Früh am Buchberg beim Sonnenaufgang und gehe im Zeitlupentempo durch den explodierenden Frühling (schnell geht im Moment nicht).

Danke, Schlaflosigkeit.

Es war ein traumhaftes Gehen heute in aller Herrgottsfrüh.

Ach wie gut, dass niemand weiß,

wie es in mir zugeht …

Lass es gut sein.

Mit dem Thema Flüchtlingsberatung habe ich abgeschlossen. Glaube ich. Der Film “Die verrückte Welt der Ute Bock” hat mich geheilt. Nicht, weil er nicht gut wäre. Ganz im Gegenteil. 

Bei diesem Job muss man so viel wissen und zwar aus dem ff, auch aus der Praxis. Da ist keine Zeit um lang nachzudenken und nachzulesen. Mein Hirn schafft das nicht mehr. Und beim NAG (=Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz) und beim AusländerbeschäftigungsG macht es dicht, weigert sich, vernagelt jede offene Ritze. Und die Praxis fehlt mir völlig. Und meine Art, alles von oben (EU-Recht) nach unten (innerstaatliches Recht) abzuleiten bzw. von unten nach oben zu hinterfragen und auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechtes zu pochen (dieser Vorrang würde die Behörden der Mitgliedsstaaten verpflichten bzw. verpflichtet sie laut EuGH, nationale Normen, die dem Gemeinschaftsrecht widersprechen, nicht länger anzuwenden), würde den Leuten auch nicht wirklich unmittelbar helfen. Die brauchen praktische Hirne und Hände und Herzen, die sich im Behördensumpf gut auskennen und jedes Schlupfloch kennen und blitzartig nutzen können. Bevor ich so weit wäre, müsste ich mich Monate lang an eine/n Erfahrene/n dranhängen. Ich bin jetzt 57. Ich will das nicht mehr. Es gibt so viele NGO’s, die sollen die Leute beraten, vertreten, die kennen sich aus und kriegen dafür bezahlt. Ich würde mich nur lächerlich machen und die armen Flüchtlinge irgendwann anfangen zu hassen.

Wie nennt man das? Der Realität ins Auge schauen. Müde bin ich.

Lass es gut sein jetzt mit Schreiben. Du schreibst ohnehin nur Holler.

Das Haus am Meer

Der Film hatte mich vier (!) Abende fest im Griff. Was der bevorstehende Tod alles auf die Beine stellt. Er reduziert, konzentriert das Leben auf das Wesentliche, er setzt Kräfte frei, die einem unter anderen Umständen nicht zur Verfügung stehen würden, die man nicht mobilisieren könnte. Man bringt plötzlich “Dinge” her, die man 40, 60, 80 Jahre und länger nicht hergebracht hat. Auch wenn der Film geschönt ist, diese Tatsache bringt er gut herüber. Wenn man die Tür nicht vor ihr verriegelt, die Fenster nicht vernagelt.

Den Glutresten in meinem Höllenhund beim “Vergehen” zuschauen.

Ungeheuer schön, dieses Glitzern und Glosen in der heißen Asche, wenn es rundherum finster wird/ist.

Der Schwedische Kaminofen in meinem Wohnzimmer trägt die Bezeichnung bzw. den Namen Cerberus. Er fiel mir zu, als mein Ex zum ersten Mal über sein Schuldengebirge stolperte und das Haus verkaufen musste, in dem dieser schöne, schwarze Koloss stand. Er verwandelt die wenigen Quadratmeter, die ihm bei mir zur Verfügung stehen, im Nu in ein Backrohr, sprich: Er ist viel zu groß. Ich könnte auch kochen auf ihm (oben kann man zwei gusseiserne Kreise herausnehmen). Er wiegt … keine Ahnung. Ich liebe ihn. Und den Holzstoß auf der Terrasse.

DANKE. Für die warme Wärme und die unheimliche Schönheit, die du aus ein paar Holzscheiten in meine kleine Hütte zauberst, wann immer ich es möchte.

Dazu ein Mix aus Gregorianik und dem Saxophon von Jan Gabarek … Das ist Luxus pur.

(M)ein altes Haus

Im linken Ohr pfeift es. Der linke Fuß ist nicht in Ordnung. Die gesamte linke Körperhälfte wird immer seltsamer. Sogar die Hämorrhoiden spür/hab ich nur links. Ich bin auch als Körper zwei. Nur die Stirnhöhlen sind sich einig und empfindlich wie die Prinzessin auf der Erbse. Und meine Haut schaut rundherum zunehmend aus wie eine der gestopften Unterhosen meiner Großmutter. Der Chirurg, zu dem mich der Hautarzt schickt, ist zwar sehr nett, aber …

Ich werde alt. Ich dachte nicht, dass es sooo schnell geht. Dabei sind meine Wehwehchen Kinkerlitzchen im Vergleich zu den Krankheiten, die andere in meinem Alter schon haben. Ich bin eine typische wehleidige Intellektuelle, die die “körperliche Präsenz” nicht gewöhnt ist. Mein Körper hat mich 50 Jahre lang so gut wie nie gestört. Wenn ich nicht wollte, war er nicht da. Ich spürte ihn nicht. Er belastete mich nie.

Jetzt tritt er aus dem Schatten. Seit ich 50 bin, jedes Jahr ein Stück mehr. Ein neuer Lebensabschnitt, sagt man. Wie mit ihm umgehen? Weiter von einem Arzt zum anderen rennen (um mich dann erst recht zwischen mindestens zwei verschiedenen Meinungen entscheiden zu müssen)?

Ich weiß schon. Ich muss aufhören alle Beschwerden beseitigen zu wollen wie lästiges Ungeziefer, sie als Gitterstäbe zu empfinden, die mir meine Freiheit Stück für Stück nehmen.  Ich muss mit meinen 57 Jahren endlich anfangen meinen treuesten Begleiter wahrzunehmen, als Freund, Dach über dem Kopf, auch als Lehrer, Reiseführer. Wir gehen meinen/seinen Weg bis zum letzten Schritt gemeinsam. In Frieden oder im Krieg.

An sich mag ich alte Häuser. Ich liebe sie. Heute hab ich wieder ein ganz besonders schönes gesehen. Ich gehe diesen Weg so oft in der Früh, aber meistens offenbar blind, weil in hunderttausend Gedanken eingesponnen. Seit ich versuche diesem Heuschreckenschwarm hin und wieder zu entwischen und da zu sein, anwesend, gedankenlos präsent, tritt fast jeden Tag ein anderes aus der Reihe und zeigt mir seine Schönheit.

Ping Pong

In mir hausen zwei. An einem Tag hat die eine die Oberhand, am nächsten die andere, an manchen Tagen wechselt es von Stunde zu Stunde, wie ein Ping Pong Bällchen geht es hin und her.

Ich kann nicht gleichzeitig in dem “kleinen” Leben (ohne erkennbaren Nutzen) zufrieden sein und das “große” (wenn schon nicht Berge versetzende, so doch wenigstens andere Leben rettende oder positiv verändernde) Leben wollen.

Dabei ist das “kleine” so unendlich reizvoll, bewusst einen Kaffee trinken, eine Kohlrübe ernten, das ist Meditation pur. Muss heißen: wäre Meditation pur, würde ich es zustande bringen und mich nicht ständig dabei bekämpfen bis aufs Blut.

Falsch gedacht?

In Ungarn ist vor einigen Wochen ein Verfassungsgesetz verabschiedet worden, das Obdachlosigkeit unter Strafe (Geld oder Gefängnis) stellt. Falls es die EU nicht schafft dieses Gesetz zu stoppen und es tatsächlich vollzogen wird, müsste das - logisch gedacht - für Betroffene, die keine Familie oder Freunde haben, die für sie die Geldstrafe bezahlen und sie dauerhaft unterbringen können, lebenslängliche Haft bedeuten. Denn wie zaubert man im Gefängnis ein Dach über dem Kopf her, das man nicht hat (außer das Gefängnisdach)? Logisch gedacht Nr. II müsste/könnte das in derartigen Fällen ein Asylgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention sein: begründete Furcht vor Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff “soziale Gruppe” als Auffangtatbestand weit auszulegen. Als Unionsbürger müssten derart betroffene Ungarn das Recht auf Asyl (auch) nach der Charta der Grundrechte der EU in einem anderen Mitgliedsstaat der EU geltend machen können, solange Europa mit Viktor Orbán nicht fertig wird.

unendlich dankbar

Meine älteste Freundin, ihres Zeichens Lehrerin, ist seit einer Woche (sprich: seit 1. April 2013) in Frühpension. Auch wenn etwas (und dieses Etwas ist recht ausgeprägt) in mir grasgrün ist vor Neid: Ich möchte nicht mit ihr tauschen. Ich könnte den Weg nicht gehen, den ich gehe und ich will diesen Weg gehen, obwohl ich ihn oft ganz schrecklich finde, will mich bedingungslos dem Leben anvertrauen, der Liebe, die da ist (ob ich sie sehe, spüre oder nicht) und das kann ich nur ohne “Pragmatisierung”, ohne “tödliches Sicherheitsnetz”. Ich hoffe zwar, dass ich in drei Jahren eine winzige Pension bekomme, aber …

Auch wenn ich keine Ahnung habe, wohin mich mein Weg noch führen wird und er bisher von keiner erkennbaren Logik, Leistung und keinem “Erfolg” gekennzeichnet ist: Ich bin froh und unendlich dankbar, dass (m)ich vor acht Jahren und einer Woche (sprich: am 1. April 2005) die Kraft hatte zu gehen. (Wen es interessiert: Der Text Das Schneckenhaus (auf der Website unter Texte) befasst sich mit diesem Ausstieg.)