Keine Berührungsängste.

Ich trage deine Jacken, T-Shirts, Schuhe, Haus- und Trainingsanzüge, die eine oder andere Bluse. Diesmal habe ich kaum eigenes Gewand mitgebracht. Du warst eine sehr elegante Frau. Und ich mag sehr legere Kleidung. Ich fühle mich wohl in vielen deiner Sachen, angenommen und willkommen.
Am späteren Abend, wenn es kühl wird im Salzburger Gebirgstal, noch [...]

Deine Ohrringe und meine Ohren.

Glaubst du, das ist ein gutes Gespann? Ich trage seit 40 Jahren keine Ohrringe mehr. Und jetzt baumeln plötzlich mehr als 100 Jahre alte daran.
Beim Telefonieren klappert es.

„Guten Morgen, Omalein! Jetzt gibt’s Frühstück!“

In den ersten Tagen rede ich viel mit meiner Mutter (ich sage seit 40 Jahren Oma zu ihr, seit mein Sohn auf der Welt ist). Es fühlt sich ganz normal an. Kein bisschen komisch.
Sobald es am Abend dunkel wird, Kerzen. Ganz wichtig. Ich schlafe gut.

Zwei Wochen später bin ich wieder da. Beim Grab. Im Haus.

Allein. Wie an einem Gummiband hat es mich hergezogen. Auch wenn ich mich ein bisschen fürchte. Was erwartet mich? Wie mutterseelenallein werde ich in diesem Haus sein?
Gar nicht. Ich bin willkommen. Eine feine, warme, heimelige Atmosphäre.
Das Grab ist jetzt kein Hügel mehr. Es ist schon eingeebnet und hat eine hölzerne Umrandung. Blumen. Kerzen. [...]

Eine Fürbitte,

die ich in der Kirche nicht gelesen habe:
In den letzten Jahren deines Lebens warst du sehr einfach und bedürfnislos. Eine Scheibe Butterbrot und ein Häferl Kaffee. Das war dir etwas vom Allerliebsten. Dafür warst du anderen gegenüber ungeheuer großzügig. „Man muss noch mit warmen Händen geben“, hast du gesagt.
Möge die Liebe dir diese [...]

Das Begräbnis

war ein Begräbnis. An dessen Ende ein tiefes Loch in der Erde, darin ein Sarg, darin ein Körper. Erde wird hinuntergeworfen, Blumen, Weihwasser gesprengt. Tränen. Dann verlassen alle den Friedhof. Die Verwandten und geladenen Trauergäste sitzen bei Traumwetter unter weißen Sonnenschirmen und ausladenden Baumkronen in einem Gastgarten und bekommen vor dem ersten Gang des Trauermahls [...]

Der Tag in der Aufbahrungshalle

ist ein guter Tag. Der mit Abstand beste und eindrucksvollste Tag der Tage vor dem Begräbnis.
Dieser Tag ist ein Rest vom alten Brauch der Totenwache. Und ich vermute, es gibt ihn nur mehr am Land und auch am Land längst nicht mehr überall und auch dort, wo es ihn noch gibt, gibt es viele, [...]

Die Zeit zwischen Tod und Begräbnis

ist über weite Strecken eine Josef-Hader-Kabarett-taugliche Zeit. Er könnte Stadthallen mit diesem Thema füllen. Die Zuschauer würden noch Tage später Bauchweh vom Lachen haben. Er müsste nichts aufpolieren. Nur die splitternackten Fakten erzählen. Mit seiner Stimme. Dazu sein Gesicht wäre ein Traum.
Wir waren glücklicherweise wenigstens zu zweit bei diesem Run durch den Dschungel der [...]

Zwei Vogerln am Balkongeländer

Am nächsten Morgen in der Früh geht es gleich weiter mit den überreizten Nerven. Es ist saukalt im ganzen Haus. Mein lieber Bruder ist Frischluftfanatiker, daher sind so gut wie alle Fenster und die Türen zum Balkon offen. Draußen hat es 8 Grad, sagt mir ein Blick auf das Außenthermometer … wir befinden uns in [...]

Zugeprostet!

Nachdem sie am Nachmittag gestorben war und ich den Familienrummel und das Kindergeschrei beim Abendessen irgendwie überlebt hatte, flüchtete ich in die Stille eines Spaziergangs (im Schneckentempo) an der Salzach, danach ins Geschirrabwaschen und Putzen der Küche und dann zu den Schnapsflaschen. Ich griff mir den Marillenschnaps, füllte das (Schnaps)Glas bis zum Rand, stellte die [...]

Der Aufprall danach

in der gewöhnlichen Welt ist hart.
An einem Sterbebett igelt man sich anfangs meistens ein, aus Angst vor dem Sensenmann, der hier seine Arbeit tut, werden 150% der verfügbaren Abwehrraketen und Nuklearsprengköpfe ausgefahren, um das Furchtbare, das da geschieht, von sich fernzuhalten, nur ja nichts an sich heranzulassen, auch die eigenen Gefühle und Abgründe nicht. [...]

Ich hatte großes Glück.

Dass ich bei ihr sein durfte, als es anfing zu Ende zu gehen. Dass ich mit ihr sein durfte, als das Atmen noch schwieriger wurde, als es vorher schon war. Dass ich sie aufrichten durfte, ihr mit zittrigen Fingern über das schweißnasse, fiebrige Gesicht streichen durfte, während sie kämpfte. Dass ich mich ungeschickt und hilflos [...]

Ganz ruhig ist es.

Keine Infusionen mehr, keine Blutabnahme, nur mehr ein bisschen Flüssigkeit subkutan und ein bisschen Morphium.
Die brüchigen Venen haben nein gesagt, der ganze Körper schreit nein, lasst mich endlich in Ruhe, ich will eure Hilfe nicht mehr, eure Truppen, die ihr mir zur Verstärkung schickt gegen die vielen Feinde, die mich angreifen! Schaut mich doch [...]

Wenn ich etwas begriffen habe in dieser Nacht,

ist es das: Wir sollten viel aufmerksamer miteinander umgehen. Die Zeit nützen, die wir miteinander haben.
Die Nacht war ruhig.

Kein Lächeln. Die Augen zu.

Sauerstoffschläuche in der Nase, Infusionen und Blutergüsse so groß wie Handteller.
Hätte ich nicht gewusst, dass das meine Mutter ist, ich hätte sie möglicherweise gar nicht erkannt.
Aber sonst ist alles ok … Der Körper atmet noch.
Das Lächeln werde ich nicht mehr sehen. Aber. Ich habe es gesehen. Einmal, zweimal, vielleicht dreimal. Ich werde es nicht vergessen.
Heute [...]

In den letzten Monaten hatte sie nichts mehr

von ihrer so selbstbestimmten Art. Sie wurde ganz still, hörte wohl zu, sagte aber selbst nur mehr ganz wenig. Einmal sagte sie: „Jetzt ist eine komische Zeit. Jetzt habe ich nur mehr das Sterben vor mir.“
Als ich sie Mitte Mai nach einem Monat Abwesenheit wiedersah, waren abgesehen von ihrem rapiden körperlichen Verfall zwei Dinge [...]

So schnell kann’s gehen …

Gestern dachte ich noch, Mitte nächster Woche fahre ich wieder zu meiner Mutter und löse meinen Bruder bei ihrer Betreuung ab. Ich dachte, ich werde mit ihr am Balkon sitzen und wenn sie will, mit ihr Halma spielen, ich werde ihr die Beine massieren, vielleicht vorlesen, ich werde sie in den Arm nehmen, wenn sie [...]