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In Wien wird eine neue Notschlafstelle nur für Frauen eröffnet. Eine sehr niederschwellige. Wann genau weiß ich nicht. Wo genau auch nicht. Aber sie kommt!
PS: Noch etwas weiß ich: dass die Frauen, die dort anklopfen (werden), angenommen werden, wie sie sind, dass ihnen dort mit Achtung begegnet wird und mit viel Wärme.
Nachtrag vom 12.11.09: Fehlmeldung. Leider. Siehe Eintrag Licht zurück, Blick nicht.
Pfingstsamstag, das Barometer am Küchenfenster zeigt 10 Grad, es schüttet, finster ist es am helllichten Tag, die Heizung läuft, eine Kerze brennt, ein Riesenhäferl Tee. Mann in Italien (Regatta), Sohn in Wien (deshalb aber nicht weniger weit weg), Frau allein. Auf geht’s, Bruno: Wo und was ist Swinoujscie?
Zur Erinnerung: Bruno ist der riesengroße Pole, der so gut Gitarre spielt (Eintrag vom 16.03.09, Bruno, vielen Dank ...) und der sich am 8. März (Frauentag) bei den Frauen bedankt (Eintrag vom 10.03.09, Mein erster nicht nur Schnupper...). Sonst weiß ich nicht viel von ihm, er spricht so gut wie kein Deutsch, bestenfalls “bist ein gutes Frau”. Er ist einer von den “Übriggebliebenen” (Eintrag vom 28.05.09 Übriggeblieben), von den EU-Ausländern, für die in der Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität (Eintrag vom 29.05.09 Wien, die Stadt...) kein Platz ist. Die Notschlafstellen, die auch “solche” nicht von der Tür weisen, sind weniger geworden und den von Pfarrer Pucher geplanten VinziPort gibt es noch nicht. Bruno ist zwischen 50 und 60, er macht zwar einen robusten Eindruck, aber alles hält er offenbar nicht mehr aus. Er will wieder nach Polen. Nach Swinoujscie. Zu seiner Familie, wie er sagt. Deshalb treffen wir uns in ein paar Tagen am Südbahnhof und ich werde ihn in den Zug setzen. Wenn ihn bis dahin nicht der Mut verlassen hat … Einen Platz habe ich jedenfalls schon reserviert.
Und jetzt möchte ich wissen, wo und was Swinoujscie ist: Swinoujscie ist … vieeeeel. Eine Stadt an der Ostsee, eine Stadt, die an Deutschland grenzt (sie heißt auch Swinemünde) und ursprünglich zu Deutschland gehört hat (sie wurde 1740 durch Friedrich den Großen angelegt und war DER Seehafen Preußens), eine Stadt, die sich über nicht weniger als 44 Inseln erstreckt (bewohnt sind aber nur drei davon, deshalb auch “das Land der 44 Inseln”), eine Stadt, deren Fläche von Jahr zu Jahr größer wird (weil die Ostsee immer mehr zurückweicht), die nordwestlichst gelegene Stadt Polens, eine kreisfreie Stadt (nach der Verwaltungsgliederung), ein Handelshafen, ein Ostsee- und Kurbad, ein “Eldorado für Wassersportler und Petrijünger” samt Vogelschutzgebiet (Kaseburger Werder), 2009 u.a. Stützpunkt für die europäische Hochsee-Segelregatta Baltic Sprint Cup, außerdem gibt es jede Menge Kultur, gemischt mit Köstlichkeiten aus dem Meer, im Juni z.B. gibt es ein 10 Tage dauerndes Fest: “die Tage des Meeres”. Und wer trotz alledem nicht dort bleiben will, kann zu Fuß nach Deutschland gehen oder eine Fährverbindung nach Schweden oder Dänemark nehmen oder einen Zug irgendwohin nach Polen. Ein guter Platz, Bruno. Ein Hafen zum Einlaufen, zum Auslaufen, was immer du vorhast.
Wer mehr über Swinoujscie wissen will: z.B. www.swinoujscie.pl, mehr über die Geschichte der Stadt findet sich allerdings über www.insel-usedom.net.
Wer sich für das Wort Vinzi und was dazugehört interessiert: www.vinzi.at. Informationen zum geplanten VinziPort (”ein Hafen, in dem man andocken kann und wenigstens für die Nacht gut versorgt ist”) gibt es auf dieser Web-Seite noch nicht, sie habe ich aus der Zeitschrift der Vinzenzgemeinschaft Eggenberg “Armendienst ist Gottesdienst”, März 2009, Seite 11, man kann sie über die Web-Seite bestellen und bekommt sie kostenlos zugeschickt.
Menschen, die lange auf der Straße gelebt haben, tun sich furchtbar schwer den Anschluss an das “normale” Leben wieder zu finden, wie Häftlinge, wenn sie entlassen werden, sich wieder zurechtzufinden in der engmaschigen Struktur der Norm, von der Gesellschaft wieder angenommen zu werden. Ihr “Geruch” ist ein anderer geworden. Als hätten sie die Hautfarbe gewechselt, den Kontinent. Wesentlich anders als im Tierreich geht es bei uns nicht zu.
Was wäre, wenn wir unsere eingefressenen Muster stehen lassen könnten wie ausgefressene Futternäpfe? Wenn wir es z.B. schaffen würden so unglaublich einfache Dinge zu tun wie die Dächer unserer Häuser weiß anzustreichen und mit weißen Autos auf hellen, reflektierenden Straßen zu fahren, wie der US-Energieminister und Physik-Nobelpreisträger Steven Chu das gestern oder vorgestern bei einem Klimaschutz-Symposium in London gefordert hat? Weltweit.
Das ergibt eine Vergleichsstudie des Beratungsunternehmens Mercer zur Bewertung der Lebensqualität in 215 Großstädten. Zürich liegt auf Platz 2, Genf auf Platz 3, München auf Platz 7, New York City auf Platz 49. Näheres zu dieser Studie: www.mercer.at
Ein paar traurige Gestalten sitzen vor halbvollen Tellern. Können nicht vor und nicht zurück. Haben keinen Platz. Hier nicht und dort nicht, wo sie irgendwann einmal zuhause waren. Sind vor Jahren nach Österreich gekommen auf der Suche nach einem besseren Leben. Schließlich gehören wir alle zur EU. Dass der österreichische Arbeitsmarkt für sie noch nicht offen ist, haben sie anscheinend nicht bedacht, der Sozialhilfetopf auch nicht, und die Hürden unseres Ausländerbeschäftigungsgesetzes haben sie nicht geschafft. Sprich: Sie haben auf der ganzen Linie versagt. Planung und Ausführung untauglich. Die Brücken hinter sich haben sie abgebrochen und eine Brücke nach vorne gibt es für sie nicht. Schlafen wo? Das sagen sie nicht. Sie sind vorsichtig geworden. Vielleicht unter der Brücke, die es für sie nicht gibt. Für sie gibt es nicht einmal ein Bett der Wiener Wohnungslosenhilfe. Auch in die Gruft dürfen sie nicht. Sie dürfen nicht auf einer Matratze zwischen 100 Matratzen schlafen. Sie dürften auch unter der Brücke nicht schlafen. Weil sie ohne Geld und ohne Arbeit längst nicht mehr hier sein dürften.
Das Recht sich ohne Bedingungen und Formalitäten in Österreich aufzuhalten steht einem EWR-Bürger nur für drei Monate zu. Wer länger bleiben will, darf das nur “nach Maßgabe des 4. Hauptstückes des 2. Teiles des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes”. (Wer die Bestimmungen lesen will: www.ris.bka.gv.at aufmachen, Bundesrecht anklicken, als Titel, Abkürzung NAG eingeben und im Feld darunter die §§ 51 bis 55.) Wer diese Anforderungen nicht erfüllt, dem fehlt das Niederlassungsrecht und er ist (gemäß § 86 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG) auszuweisen.
Einer zeigt mir seinen Tabakbeutel. Zigarettenstummel. Kein Geld für Tabak. Zum Betteln vielleicht zu müde. Der Mann ist nicht mehr jung. Stehlen kommt für ihn nicht in Frage, erklärt er mir. Schüttelt dabei energisch den Kopf. Dann lässt er ihn wieder hängen. Erstaunlich, was Menschen aushalten ohne böse zu werden, ohne von der Brücke zu springen, unter der sie nicht schlafen dürfen. Ist das Versagen? Was ist Versagen? Ihr Traum von einem besseren Leben ist nicht in Erfüllung gegangen. Das stimmt. Sie haben es nicht geschafft ihn umzusetzen. Jeder heißt nicht Karl Rabeder (z.B. www.luxusvillatirol.at). Aber sie haben es versucht. Und am Ende des Tages werden sie möglicherweise mehr Hürden geschafft haben und höhere als viele, die in einer Luxusvilla alt werden. Was bleibt übrig? Was ist wichtig am Ende? Die Mauern, in denen wir gelebt haben?
Ihn aus der Fremde wieder nach Hause zu schicken. Ihm die Mauern rund um ihn herum wegzunehmen, die Enge einer Wohnung zu verbieten, das Labyrinth zum Flügelbrechen. Ihm ein Fenster öffnen und keine andere Wahl lassen, alle anderen Wege versperren, Türen schließen, eine nach der andern, bis er draußen ist wie ein Patzen Senf aus der Tube.
Was das mit dem Thema des Blogs zu tun hat? Alles. Die Parkbänke und Notschlafstellen sind nur ein Punkt im Bild Obdach/losigkeit. Eine winzige Schublade, in der dieser Begriff schon seit zwei Wochen keinen Platz mehr hat. Es ist jetzt Mai. Alles blüht, wächst, der Frühling platzt aus allen Nähten, rast auf den Sommer zu. Die Tür steht sperrangelweit offen. Die Notschlafstelle ist geschlossen. Viele der ehemaligen Gäste sind jetzt auf der Donauinsel. Das Blog ist im Web. Wir sind auf der Straße. Keine Mauern mehr rund herum. Jeder, der will, sieht alles. Verloren? Zuhause? Fremd? Schnell wieder zurück ins Nest? Und der Kreis schließt sich.
Wer dieses LogBuch aufmerksam liest, wird mit der Zeit hoffentlich viele Kreise erkennen können und wie sie ineinander fließen, wie einer den andern ergibt, ergänzt, verdrängt. Wer nur Informationen, Geschichten und Statistiken über “wohnungslose Menschen” lesen will, ist hier nicht am richtigen Platz. Ich habe die Unart mich vom Fleck zu bewegen, mich oft sehr schnell zu bewegen, je nach dem, wie mich das Leben bewegt.
PS: Der Vogel war heute wirklich da. Ich erfinde keine Geschichten. Ich finde sie nur. Gelegentlich ein Körnchen. Literatur Leben (sage ich dazu).
Trotzdem ist es DAS TELEFON, das Telefonie möglich macht, DIE SEITE, die zusammen mit anderen Seiten ein Buch ergibt, hervorbringt ist besser. DAS BUCH ist mehr als die Seiten, aus denen es besteht, etwas anderes, eigenes. Trotzdem gehört jede Seite dazu. Ist wichtig. Individualität ist wichtig. Gestalt, Form, Farbe, Energie, Unsicherheit. Der Unterschied. Ohne Gegen-Sätze kein Dialog, keine Spannung, kein Buch. So gesehen passt es, dass ich nicht beliebig Links auf andere Seiten setzen kann. Ich kann aus dieser Seite kein Durchgangszimmer machen, die “Verarbeitungsmechanismen der Eingabemaske” erlauben das nicht. Ich muss kreativ sein, bleiben, wenn ich es noch nicht bin, werden, eigensinnig. Gestalten, formen, schöpfen. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig. DANKE!
Nachtrag vom 18.6.09: Dieser Eintrag stammt aus der Zeit “vor WordPress”. Jetzt stehen von der Software her alle Türen offen. Trotzdem glaube ich nicht, dass diese Seite ihr Gesicht verlieren wird. Manches kann ich nicht. Für manche Wege fehlen mir die Beine. Ich empfinde das in der Regel als Fluch. Aber ich habe auch lichte Momente.
Nicht nur ein Buch. Kommunikation. Die Grenze Autor/Leser ist offen. Jeder, der einen Eintrag kommentiert, schreibt an dem Buch mit, tritt in ein Gespräch ein, an dem sich viele beteiligen können. Alle können mittun, schreiben, reden, keiner muss. Das Blog kann alles sein: ein Dialog, ein Diskussionsforum, ein Buch. Alles gleichzeitig. Für jeden das, was er will, wozu er bereit ist. Und das ist noch nicht alles. Das ist nur ein Punkt in einem Bild. Auch die Grenze Buch/Buch ist offen. Beispiel Link. Wenn sich eine Web-Seite ändert, die (mittels Link) auf dieser Web-Seite geöffnet werden kann, ändert sich damit auch diese Seite und wenn jemand einen Link von seiner Seite auf meine Seite setzt, schreibe ich und jeder, der einen meiner Einträge kommentiert, nicht nur auf (m)einer Web-Seite.
Ein sehr einfaches Bild, ich weiß, hirnrissig einfach und wieder nur ein Punkt, wie das World Wide Web, kurz Web oder WWW, wörtlich “weltweites Gewebe”, trotzdem nur eines der vielen Netzwerke im Internet.
Übrigens: Das WWW ist als Projekt am CERN entstanden. Näheres unter www.cern.de. Ich hoffe der Link (mit de hinten) funktioniert. Ich kann von diesem Blog aus nämlich nur sehr eingeschränkt Links setzen … Mit Sicherheit keinen kann ich auf http://info.cern.ch setzen, wo es heißt: “… a website is like a telephone; if there’s just one it’s not much use.”
Nachtrag vom 18.6.09: Dieser Eintrag stammt aus der Zeit “vor WordPress”. Jetzt kann ich Links setzen noch und nöcher.
Nachtrag vom 16.11.09: Kommunikation/Mitschreiben derzeit nicht möglich. Siehe Eintrag Tut leid. Ab heute heißt es: Comments are closed.
Bis auf das Rätsel “Tags” ist jetzt alles da: Feed, Infobox, von einem Eintrag zum nächsten kann man sich klicken, zeitlich nach vorne, zeitlich nach hinten, wer will, kann zwischen den Einträgen herumspringen wie eine Heuschrecke, wer das nicht will, kann es sich bei einem Espresso oder Cafe Latte bequem machen und das Blog als Buch lesen, sich vom (zeitlich) ersten Eintrag bis zum (jeweils) letzten durchlesen, wer vorher wissen will, auf was er sich da einlässt, worum es geht in diesem Buch, wer es schreibt und warum und warum in Blog-Form und wie … klickt auf das Wort INFOBOX, sogar mit nach Hause nehmen kann man dieses Buch, es bestellen wie eine Zeitung, allerdings ohne einen Cent dafür zu bezahlen, man klickt auf “Feed abonnieren” und wird von jedem neuen Eintrag verständigt, das heißt, das Buch ist nach dem letzten Eintrag nicht zu Ende, es wird immer dicker oder größer, auf jeden Fall geht es weiter und falls die Links jetzt wirklich funktionieren, ist dieses Blog mehr als ein Buch, es ist eine Seite von einem viel größeren Buch, einem riesengroßen Buch, weil es verbunden ist mit vielen anderen Seiten und den Leser mit ihnen verbindet und er von dort aus weiter kann und weiter, wenn er will. Ohne Ende. Das ist: Super!
VIELEN DANK!! Das ist ein dicker Sonnenstrahl am Europäischen Tag der Sonne!
Nachtrag vom 18.6.09: Dieser Eintrag stammt aus der Zeit “vor WordPress”. So hat das Blog damals ausgesehen:

Ob die Eisheiligen das auch wissen? Und dass gestern und heute Europäischer Tag der Sonne ist?
Ja!!!! Ein Sonnenstrahl! Und weg ist er wieder … Kein Wunder. Gestern war die kalte Sophie. Idiotisch eigentlich den Tag der Sonne auf die kalte Sophie zu legen. Aber wer denkt an die Eisheiligen? Von uns hat offenbar keiner an sie gedacht, sonst wäre die Notschlafstelle vielleicht noch diese eine kleine Woche länger offen geblieben. Idiotisch eigentlich …
Hoffentlich haben wenigstens ihre Schlafsäcke keine Löcher.
Ein trauriger Anblick. Zwischen 15 und 20 Leute, ein paar davon ziemlich verkühlt, sitzen in einem riesigen Raum, vollgefüllt mit Couchen und Tischen, ein paar der Couchen zu einem Kreis zusammengestellt, ein großer, eckiger Kreis mit viel Platz in der Mitte, das Ganze im dritten Stock, die zwei Stockwerke darunter (mit Ausnahme einer Wohnung, die vermietet ist) leer. Still ist es, wenn niemand redet. Albrecht bringt es auf den Punkt: “Arschkalt ist es hier.”
Der Ton, soweit vorhanden, ist kämpferisch. Von Beziehungen ist die Rede, Ö3 und/oder ORF, Politik, Banken, Spendenaufrufen, -aktionen und -freudigkeit, Projektmanagement, Finanzplanung, Listen, Fristen, leeren Häusern, eine ältere Dame meint es besonders gut, sie meint, wir Ehrenamtliche sollten uns doch einfach die Kosten teilen. Unterm Strich: An’s Aufgeben denkt hier niemand, dass es das vielleicht gewesen sein könnte. Wieso sollte es das auch gewesen sein? So viel Potential wird wohl aufgegriffen werden, das Knowhow, die Erfahrung, der Stock Ehrenamtliche, die Bereitschaft und Freude an dieser Arbeit, das sind Ressourcen, die wird man in Wien doch nicht verkommen lassen wie die paar übriggebliebenen Krätzen und Flöhe, die in den unteren Stockwerken jetzt vergeblich auf einen Wirt warten.
Trotzdem war’s das. Hier, in diesem Haus, war’s das. Alles andere ist noch/schon weit weg. Hier geht jetzt die Luft aus. Auch die hundertprozentige Ehrenamtlichkeit ist zu Ende, dass niemand, ohne Ausnahme, einen Cent bekommt für das, was er tut, egal, was und wie viel er tut. Sollte sich irgendwann irgendwo etwas Neues auftun, ist Minimum ein Hauptamtlicher. “Sonst können wir es nicht mehr machen.” Auch noch super. Trotzdem nicht mehr das.
Von den Gästen, die nicht mehr da sind, wird wenig gesprochen. Es regnet seit drei Tagen. Die Eisheiligen. Also muss man den Blick in die Zukunft richten und auf ein Dach über dem Kopf. Außerdem sind es die, die nichts sagen, die von den Gästen sprechen. Und solche gibt es einige. Eine junge Frau zum Beispiel, die zeitgleich mit mir angefangen hat mitzuarbeiten. Sie hat sich im Gegensatz zu mir innerhalb kürzester Zeit bis auf den Gipfel hinauf gearbeitet, sprich: sie hat in den letzten Wochen schon laufend allein Nachtdienste gemacht. Sie sitzt ganz still, kein Wort.
www.kuckucksnest.at
Ist da jemand?
Nachtrag vom 12.11.09: Dieser Eintrag ist überholt. Den Hilferuf gibt es nicht mehr. Zumindest zur Zeit nicht. Siehe die Einträge Riesige Fußstapfen und Ein Nest fällt vom Baum.
Seit Wochen versuche ich dieses Blog flott zu bekommen. Feed, Tags, eine Infobox. Links auf andere Seiten legen können wäre auch noch super. Nur das Allernotwendigste zum pudelnackten Text dazu, die Grundausstattung der Grundausstattung, die vier Räder, damit ein Auto ein Auto ist.
Ich verlange keine einzige besondere Funktion, auch kein Foto, kein Design, ich kann die Schrift nicht verändern, ich kann nicht einmal das eine oder andere Wort fett schreiben, nichts, ich kann nur schreiben und wenn ich mich dabei vertippe, kann ich den Fehler nicht mehr ausbessern, aber das macht mir alles nichts, ein Tagebuch ist kein Fotoalbum, kein Bilderbuch, ein Tagebuch ist beschriebenes Papier, aktuelle Notizen, Gedanken, nichts Durchgestiltes, schlicht, Fehler inbegriffen. Das Einzige, was ich will ist, dass dieses Blog die Chance bekommt seine Nase aus meiner Web-Seite hinaus zu stecken, mit anderen Blogs und mit Menschen Kontakt aufzunehmen, “Hallo” zu sagen, “Hier bin ich und wer bist du?” zu fragen, in Blogverzeichnisse aufgenommen zu werden, anhand der Tags und Themen von Suchmaschinen gefunden, gelistet und verknüpft zu werden, sich in dieses riesige Netz einzugliedern und in und mit ihm zu bewegen, es soll nur seinen Job tun können: zum Gelesenwerden da sein, aber nicht in den beschaulichen vier Wänden meiner Web-Seite, in die keiner hineinschaut, mitten auf der Straße soll es stehen, mein Blog. Das will ich. Aber es geht nicht. Der Text wird immer länger und länger, das Blog immer älter (vier Monate schreibe ich schon daran), aber es schafft den Schritt bei der Tür hinaus nicht.
Kommunikationsschwierigkeiten. Zwischen dem Mann, der so freundlich war mir anzubieten dieses Blog einzurichten und mir. Ich verstehe ihn nicht und er mich ganz offensichtlich auch nicht. Und ich dachte, Blogschreiben wäre einfach.
Nachtrag vom 18.6.09: Dieser Eintrag stammt aus der Zeit “vor WordPress”, als das Logbuch-Programm/Design noch von A-Z Handarbeit war (so wie meine Web-Seite Handarbeit ist) und daher jede Funktion, die bei Weblog-Systemen wie WordPress selbstverständlich ist, “neu erfunden” werden musste. Im Nachhinein besehen Irrsinn. Aber ich wusste von diesen Systemen, die (fast) fix und fertig angeboten werden, nichts.
Das Web ist für mich genauso Neuland wie die Straße.
Auch für Albrecht war heute Nacht die erste Nacht “draußen”.
Wie fühlt sich das an, wenn man Woche für Woche, Monat für Monat ein Jahr lang im Durchschnitt jeden zweiten/dritten Tag Abend- und Nachtdienst gemacht hat? Was in den Nachtstunden so viel heißt wie: irgendwann nach Mitternacht die letzten einsammeln bzw. überreden ins Bett zu gehen, eine Runde durch die Zimmer drehen, später wieder eine Runde, ich weiß nicht, wie oft er durch die Zimmer geht (gegangen ist) und schaut (geschaut hat), ob alles in Ordnung ist, Streitigkeiten schlichten (gibt es genug, auch in der Nacht), die Rettung holen (nicht wegen der Streitigkeiten, ganz normale Dinge wie Kreislauf, Herzinfarkt), um 6 Uhr der erste Weckruf, um 6:30 Uhr der zweite, Tee machen, die Leute um 7 Uhr bei der Tür hinausbringen (auch an Regentagen, kalten Tagen, saukalten Tagen, auch wenn es dem einen oder anderen körperlich, psychisch nicht gut geht), zusammenräumen, saubermachen … Ohne einen Cent dafür zu bekommen, versteht sich.
Wie fühlt sich das an, wenn DAS auf einmal nicht mehr da ist? Ein dunkelblauer Morgen, Wind, in der Nacht hat es geregnet.
Ein Buffet aus den Tiefkühlschränken. Alles bunt durcheinander, Fleischknödel, Kroketten, Spinatnudeln, gefüllte Palatschinken, Rotkraut, Karotten, Tiramisu, Schokolade. Ich bekomme eine Riesendose panettone classico mit nach Hause. Es ist die letzte von siebzig. Und es ist immer noch so viel da. Die Vorräte sind fast so unerschöpflich wie die Gäste. 27 von 45 Betten sind eine Woche nach dem vorgesehenen Schließungstermin noch belegt.
Viele wollen nicht wahrhaben, dass es zu Ende geht, blenden diese Tatsache aus wie sie alles ausblenden, was sie nicht wahrhaben wollen, andere lassen es einfach auf sich zukommen, wie sie jeden Tag auf sich zukommen lassen, bei einigen werde ich den Eindruck nicht los, sie reden zwar viel, tun aber nichts, nur einige bemühen sich wirklich und haben trotzdem noch keinen Platz gefunden. Unterm Strich: Jeder verhält sich, wie er sich immer verhält.
Und wie sehen die gefundenen Plätze aus?
Ein Mann ist in U-Haft und wird vielleicht das nächste Jahr im “Häfn” verbringen (nichts Schlimmes, nur alle Ersatzfreiheitsstrafen absitzen, die sich im Lauf der Zeit angesammelt haben), ein anderer kommt für zwei Monate bei jemand unter, der gerade einen Entzug macht und dessen Wohnung oder Zimmer deshalb leer steht, wieder ein anderer hat eine 400 Euro Wohnung gemietet (fragt sich, wieso er bisher auf eine Notschlafstelle angewiesen war), einige haben sich bei Bekannten oder Verwandten einquartiert, etliche sind auf die Donauinsel gezogen, etliche werden das noch tun (müssen), ein paar haben die verbleibenden privaten Notschlafstellen bis zum letzten Bett aufgefüllt, ein paar Sozialhilfe- und Arbeitslosenempfänger werden doch noch den ungeliebten Weg zu P7 und damit in eine Notschlafstelle oder ein Wohnheim der Stadt Wien antreten müssen, die angehende Frühpensionistin etwa, die mir vor einer Woche noch erklärt hat, dass diese Heime nicht ihrem Stil entsprechen.
Wer bleibt über?
Im Wesentlichen EU-Ausländer, die die Zeit übersehen haben und für die jetzt kein Platz mehr in privaten Notschlafstellen ist. Und die, die keine Lösung für ihr Problem finden wollen. Der blasse Grieche mit der Essstörung etwa. Er ist nicht deshalb noch hier, weil er EU-Ausländer ist. Einerseits erzählt er von Angstzuständen, weil er noch keinen Platz gefunden hat, andererseits rührt er keinen Finger und wenn ihm ein pensionierter Rechtsanwalt ein Zimmer in einem Hotel und ein Handy anbietet als Leistung dafür, dass er für ihn einkaufen geht und verfügbar ist, falls er irgendetwas braucht, lehnt er ab, weil er nicht verfügbar sein will, dabeí hat er schon oft von diesem Rechtsanwalt erzählt, dass er schon für ihn gearbeitet hat und wie gern er wieder für ihn arbeiten würde. Er ist einer von den Gästen, die man aufgrund ihres Aussehens und Auftretens nie in einer Notschlafstelle vermuten würde, die aber ganz typisch Dauergäste in Notschlafstellen sind. Ich meine das nicht abwertend. Ich denke an einen Ausspruch, den ich an einem meiner ersten Abende gehört habe: “Wir nehmen unsere Gäste, wie sie sind. Sie sind nicht umsonst hier.”
beantwortet Albrecht meinen entsetzten Blick auf die dunkelbraune Unterhose des Mannes, der eben noch bei uns am Tisch gesessen ist und jetzt auf eine Tür zusteuert, hinter der eines von acht Betten auf ihn wartet. Ein Gedanke, der wie ein Feuerwerk in meinem Magen explodiert: Ist er auf dem Stuhl, auf dem ich jetzt sitze, auch schon gesessen? Krätzen. Scheiße. Was sonst noch? Albrecht nickt.
“Ich wechsle seine Bettwäsche jeden Tag. Und er bekommt jeden Tag zweimal eine frische Unterhose von mir. Deshalb haben wir immer so wenig lange Unterhosen.”
Nein, zum Arzt geht er nicht. Natürlich nicht. Er geht nie zum Arzt.
“Einmal bestand der Verdacht auf offene Tuberkulose. Das war ein Zirkus! Ich habe ihm sogar Hausverbot angedroht. Nichts zu machen. Zwei Ehrenamtliche haben ihm angeboten ihn zur Untersuchung zu begleiten. Nichts. Beim ersten Versuch ist er davongerannt, beim zweiten ist er gar nicht erst am vereinbarten Treffpunkt erschienen. Der dritte Versuch war dann erfolgreich: Ich habe in der Früh vor dem Haus mit dem Auto gewartet, bis er bei der Tür herauskommt, habe ihn einfach eingepackt und bin mit ihm ins Krankenhaus gefahren. Der Verdacht hat sich zum Glück nicht bestätigt. Aber das Seltsame ist noch nicht vorbei: Anstatt sich zu freuen, ist er dann drei Wochen lang nicht bei uns aufgetaucht!”
Die Stirn, die Nase aufgeschlagen, überall schwarzes, geronnenes Blut. So sind wir ins Reden gekommen. Ich habe ihn gefragt, wie das passiert ist. Hingefallen, Kreislauf, passiert immer wieder, hat er mir erzählt. Und dass er mit drei anderen auf die Donauinsel übersiedeln wird, wenn die Notschlafstelle zusperrt. Je zwei Personen in einem Zelt. Dann ist er aufgestanden, angeschissen. Wer ist der Zweite mit ihm im Zelt?
Was wird aus diesem Menschen, wenn kein Albrecht mehr da ist? Müsste man die Bestellung eines Sachwalters bei Gericht beantragen? Das wäre wahrscheinlich das Schlimmste, was man ihm antun könnte. Aber was ist mit uns? Er lässt uns biedere Bürgerlein einfach im Regen stehen mit unserem Recht und unserer Vorstellung von Ordnung und besteht darauf in seinem Dreck zu verfaulen.
Nachtrag vom 24.6.09: Dieser Mann kommt häufig vor in diesem Blog. Ich mag ihn sehr, auch wenn ich kaum Kontakt zu ihm hatte. Und da wir kaum Kontakt hatten, weiß ich seinen Namen nicht. Und wessen Namen ich nicht weiß, dessen Namen kann ich nicht gegen einen anderen austauschen. Und würde ich seinen austauschen müssen (weil können), würde mir das schwerfallen. Ich nenne ihn für mich ”der alte Mann”. Auf ihn beziehen sich die Einträge vom 24.3. “… auf den Wert dessen aufmerksam werden, was in uns schlummert …” , vom 29.3. Er hat es geschafft! , vom 20.4. “Ich gebe dem Staat nichts …” und vom 23.4. “Ihr hobt’s ma imma g’holfn” .
Das portugiesische Arschloch, als ich ihm nicht den verlangten Berg Gemüse auf den Teller schaufle sondern nur ein Häufchen, damit alle etwas von dem Gemüse bekommen.
Ich bin davon überzeugt, dass er bei den letzten sein wird, die im Lauf der nächsten Tage auf die Straße gesetzt werden müssen, weil die Notschlafstelle nicht mehr länger offengehalten werden kann. Er nutzt die Gutmütigkeit der anderen bis zum letzten Tropfen und ist dabei noch unverschämt.
Dir wünsche ich, dass du in keiner der ehrenamtlich geführten Notschlafstellen unterkommst, auch wenn andere für dich als EU-Ausländer nicht in Frage kommen. Für Leute wie dich sind diese Einrichtungen nicht gedacht.
Der Mann sitzt mitten im Getümmel und liest ein Buch über Karl den Großen.
“Ich lese viele Geschichtsbücher.”
Rundherum wird gegessen. Der Fernseher läuft.
“Ihr dürft sie nicht wegwerfen, wenn ihr die Notschlafstelle zusperrt.”
Ich würde ihm gern viele Fragen stellen. Aber bevor ich dazu das Recht hätte, müsste ich mich viel tiefer einlassen, viel mehr von mir hergeben. Zugeben, dass ich auch eine bin, die “nutzlos auf der Parkbank sitzt und sich eine Zigarette dreht”. Ich versuche zu entdecken, wie alles mit allem zusammenhängt, alles als alles zu begreifen, auch mich. Darauf reduziert sich mein Leben. Und dabei schreibe ich. Noch.
Jeden einzelnen.
Und wenn der Tag das nicht zulässt, versuchen seine Hand zu entdecken, ihre Konturen am Horizont.
Ich denke, das sollte man.
Graz. Stadtpark. Früher Vormittag.
Ich walke, er sitzt auf einer Bank und dreht sich eine Zigarette. Neben sich eine Plastikflasche mit einem finsteren, picksüß riechenden Zeug. “Da ist Wodka drin.” 60 Jahre. Seit 17 Jahren auf der Straße.
“Wo schlafen Sie?”
“Überall.”
“Warum gehen Sie nicht in eine der Vinzi-Einrichtungen?”
“Da sind die aus der Karlau. Glauben Sie, ich will mich umoperieren oder umbringen lassen?”
“Wovon leben Sie?”
“Mistkübel, Betteln.”
“Aber es gibt doch genügend Einrichtungen, wo man gratis essen kann.”
“Da geh ich nicht hin. Die wollen einen vergiften. Einmal war ich dort essen, dann hab ich Blut geschissen.”
Seine Tochter ist Richterin.
“Spricht kein Wort mit mir.”
Er habe hier an der Uni studiert.
“Ich bin kein Blöder.”
Viele Jahre im Ausland. Im Fernverkehr. In Wien war er auch. Hat ihm gefallen.
“Dann kennen Sie auch die Gruft.”
“Ja.”
“Sind ganz feine Leute dort, oder? Wollen einem helfen.”
“Nein. Wollen einen vergiften.”
“In der Gruft will Sie doch niemand vergiften!”
“In der Gruft nicht. Aber außerhalb.”
Überall will man ihn vergiften. Und überall sind “die Mafiaartigen”. Die Welt ist scheußlich. Das Leben trist. Er kämpft für Gerechtigkeit. Aber die Gerechtigkeit siegt nicht.
“Mit der Schnapsflasche auf der Parkbank wird das auch nicht gut gehen.”
“Sie lügen! Warum lügen Sie? Sie wollen der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen!”
Der Mann schaut nicht aus wie 60. Er schaut nicht einmal verbittert aus. Er schaut freundlich aus. Und er war auch freundlich, als er mich fragte, warum ich da mit den Stöcken durch die Gegend renne, ob ich glaube, dass dadurch irgendetwas besser wird. Und er war freundlich, als er mir sein Getränk anbot. Erst, als ich meinte, dass die Welt sooooooo scheußlich doch gar nicht sei, kam er in Bedrängnis.
Ich würde es nicht aushalten. Nichts zu tun. Nichts dafür und nichts dagegen. Einfach nur NICHTS. Von morgens bis in die Nacht hinein lallen, ständig Nebel im Hirn und Watte in den Knien, nicht hier sein und nicht dort. Ich würde in die Mur gehen. Ich würde weggehen weil ankommen wollen.
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in Notschlafstellen mitarbeiten, Erfahrungen, Gedanken, Fragen in dieses Blog werfen wie gewürfeltes Gemüse in einen 10 Liter-Topf (so groß sind die Töpfe für die Eintöpfe dort), dem Wort obdachlos nachgehen, aus den Notschlafstellen hinaus, das Etikett „wohnungslose Menschen“ herunterkratzen von diesem Begriff, der so riesig wie die Straße lang ist und so viele Gesichter hat wie sie, das eine oder andere entdecken, in dieses Blog werfen wie Gemüsewürfel, auf der Straße gibt es keine Topf- und keine Buchdeckel, sie ist endlos wie der Himmel, also stirbt auch die Hoffnung nie
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