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WASSER:
Warm duschen nur mehr zweimal in der Woche. Im Übrigen waschen. Nach Möglichkeit (heißt: je nach Tagesverfassung bzw. Tapferkeit …) kalt. Ist gesund.
Auch in anderen Bereichen kann ich warmes Wasser und Wasser generell einsparen. Ich muss nur aufmerksam sein. Die üblichen Routinen beobachten. Einfach nur hinschauen. Dann wird das schon werden (ohne dass die Sauberkeit darunter leidet).
Die Dinge (und das Wasser) nicht mehr laufen lassen. Nirgendwo mehr.
KOCHEN:
Beim Kochen habe ich es leicht. Aufwendiges Kochen war nie meins. Ich mochte es immer gern einfach und vor allem schnell. Der Unterschied zu früher: Ich koche jetzt bewusster. Nicht mehr schnell schnell irgendwas. Aufmerksamer. Und das macht offenbar neugierig. Zumindest probiere ich jetzt gern Neues aus. Heute zum Beispiel Dal. Mein allererstes … Ich muss ja üben …
Und noch etwas fällt mir auf: Je aufmerksamer ich koche, desto mehr geht mein Fleischkonsum zurück. Ganz von allein. Ohne jede Absicht. Rohes Fleisch fühlt sich nicht gut an in der Hand. Es hat so etwas Schlaffes. Totes.
EINKAUFEN:
1) Brauche ich das? Will ich das wirklich?
Diese beiden Fragen, vor allem die zweite, ernsthaft an mich selber gestellt, helfen mir viel Geld sparen. Und Zeit. Und Nerven.
2) Bestandsaufnahme. Hinschauen und wahrnehmen. Was habe ich alles?
Kostbarkeiten kommen auf diese Weise zum Vorschein …
3) Gibt es etwas Gleichwertiges oder Ähnliches, das der Umwelt (und damit mir) weniger weh tut?
So habe ich schon viel Neues entdeckt. Aber auch grauenhafte Gewohnheiten und Vorlieben, die ich (noch) nicht lassen kann.
Gewohnheiten bemerken und aufbrechen. Das ist es. Die Augen aufmachen und hinschauen genügt. Den Blick nicht mehr abwenden. Auch nicht, wenn das Hinschauen unangenehm ist, auch nicht, wenn es weh tut. Vieles erledigt sich so mit der Zeit von selbst.
HEIZUNG:
18,5 Grad. So kalt/warm ist es in meiner Wohnung seit einigen Wochen, wenn ich die Heizung (Gastherme) nicht aufdrehe. Und ich drehe sie nicht auf, solange es nicht kälter wird. Anfangs dachte ich, das geht nicht. Unmöglich. Das ist grausig ungemütlich. Nach mittlerweile fünf Wochen weiß ich: Es geht. Gut. Sogar 18 Grad gehen noch. Aber nur mehr halbwegs …
Und: Ich habe schöne Sachen (wieder)entdeckt, von denen ich gar nicht mehr recht wusste, dass ich sie habe.
- Zwei wunderschöne, weiche Riesenschals aus Nepal, die seit Jahren nutzlos in einer Schublade herumliegen; einer dieser Schals genügt, um mich vom Kopf bis zu den Zehen am Abend beim Fernsehen oder beim Lesen zuzudecken und es kuschelig warm zu haben.
- Wollsocken in bunten Farben, die meine Mutter noch gestrickt hat.
- Jede Menge Pullover, die ich endlich anziehen kann, ohne in ihnen zu schwitzen.
Und das Beste: Mein 66 Jahre alter Körper macht wunderbar mit. Ich bin kein bisschen verkühlt. Nicht einmal eine Coronainfektion vor zwei Wochen machte eine höhere Raumtemperatur nötig.
Und wenn es draußen richtig kalt wird, werde ich meinen Cerberus (schwedischer Kaminofen) im Wohnzimmer regelmäßig einheizen. Das gibt eine feine, knisternde Wärme. Und sollte irgendwann der Strom länger ausfallen, kann ich auf diesem Ofen sogar kochen. Ein Stoß Holzscheiter auf der Terrasse wartet seit Jahren nahezu ungebraucht aufs Verbranntwerden. (Ich war fast immer zu faul zum Einheizen.) Das Kleinholz zum Anzünden bringe ich von meinen Spaziergängen mit, im Wald liegen jede Menge dünne Äste, Zapfen.
Unterm Strich: Ich habe alles, um mich wohlzufühlen. Ich muss es nur verwenden.
LICHT:
Früher hatte ich, sobald es halbdunkel war, überall Licht brennen. In den grauen Herbst- und Wintermonaten also mitunter fast den ganzen Tag. Ich glaubte, das zu brauchen. Aber das stimmt nicht. Jetzt schalte ich das Licht nur dort ein, wo ich es wirklich brauche. Ganz bewusst. Es macht sogar Spaß, Licht und Dunkelheit aufmerksam miteinander wahrzunehmen. Und es ist nicht ungemütlich. Ein dunkler Raum zwischendurch hat etwas, oder ein Raum, in dem nur eine Ecke beleuchtet ist oder in dem nur beim Computer eine Lampe brennt. Die Atmosphäre verliert dadurch nicht. Es ist wie bei einem Bild, einer Geschichte. Dunkle Momente gehören dazu, sie sind nötig, ein Muss, wenn es/sie lebendig sein soll.
Und Kerzen. Sie sind die Stars. Sie kommen viel besser zur Geltung, wenn nicht jeder Winkel ausgeleuchtet ist.
Und wenn es mir trotzdem hin und wieder zu trist ist in diesem chronischen Wiener Nebelgrau, denke ich an die Vielen, die den Luxus eigener vier Wände nicht haben und die jetzt sehr gerne meine Sorgen hätten. Es gibt unglaublich viele Menschen ohne Dach über dem Kopf, auch im reichen Österreich, vor allem in Wien, das nach dem Global Liveability Index der Economist Intelligence Unit auch im Jahr 2022 die Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit ist.
MIR FEHLT NICHTS.
Diese Frage stellt mir gestern allen Ernstes eine ganz liebe Bekannte, die in zwei Monaten in Pension gehen wird und die ich gefragt habe, ob sie sich vorstellen könnte, mit mir in Katmandu eine „Dalküche für Straßenkinder“ aufzumachen.
Weil ich vielleicht doch noch ein kleines bisschen älter als 67 werden möchte … ?
„Ach was! Uns zwei alten Schachteln tun die (Taliban und Co) doch nichts!“
Und dann sprudeln die Vorschläge und Pläne … Und zum Schluss: „Ach ist das schön, wieder einmal ein wenig zu träumen…, aber Achtung: Wenn mich eine Idee packt, dann lasse ich nicht mehr los…“
Wer jetzt meint, diese Frau hat von Afghanistan keine Ahnung, irrt. Gewaltig. Deshalb irritiert mich ihr Vorschlag.
Ich hatte diese Idee selber schon einmal. Allerdings vor der Machtübernahme durch die Taliban. Während des ersten Corona-Lockdowns. Ich erinnere mich noch gut. Ich saß unter einer Birke und schaute in ein Meer von Weinstöcken, als sie urplötzlich da war.
Ich schrieb sie auf:
Wenn die Menschen aus Afghanistan nicht (mehr) zu uns kommen dürfen, könnte/sollte ich zu ihnen gehen. Kochen in Kabul für Straßenkinder. Ein warmes Essen für junges Leben am Abgrund in dieser Eiszeit der Menschlichkeit. Etwas gegen das Erfrieren tun. Auch gegen mein eigenes. Nicht bewusstlos werden wollen in dieser Kälte. Mich dagegen bewegen. Etwas tun, vor dem jeder halbwegs normale Mitbürger zurückschreckt und mir voller Inbrunst ein zu 100% berechtigtes „Du spinnst ja!“ entgegenschleudert, müsste doch etwas mit Lebendigkeit zu tun haben. Auch wenn es ein halbwegs sicherer Selbstmord wäre …
Damals hatte ich allerdings kein Geld, um die Idee umzusetzen. (Zu feig wär ich natürlich auch gewesen.) Und im Sommer 2021 übernahmen dann die Taliban die Macht im Land. Und erlassen seither immer stärkere Repressionen, vor allem gegen Frauen. (Amnesty International hat im Sommer dieses Jahres einen Bericht herausgebracht mit dem Titel: DEATH IN SLOW MOTION - Women and girls under the Taliban rule, der Bericht kann abgerufen werden unter ecoi.net) Das Land am Hindukusch versinkt im tiefsten Elend und Mittelalter. Steinigungen, Hände abhacken u.u.u. Meine Kabul-Straßenkinder-Idee … vergessen und begraben.
Jetzt taucht sie plötzlich wieder auf. Und ein bisschen Geld vielleicht auch. Und eine Frau, die mit mir gehen würde. Von Kopf bis Fuß verschleiert ins Reich der bärtigen Turbanmänner mit Gewehren und Peitschen. Ein paar Schritte vor die Haustür ohne Begleitung eines dazu berechtigten Mannes (Nicht jeder Mann darf das!) können zu Peitschenhieben oder ins Gefängnis führen. NEIN, DANKE! Und zu diesen berauschenden Aussichten durch das winzige Guckloch der Purka kommen noch so Kleinigkeiten wie der IS, massenhaft halb verhungerte Kriminelle und Drogenabhängige und Millionen und Millionen ums splitternackte Überleben Kämpfende.
Allerliebste M., du bist völlig durchgeknallt!
auf die Beine stellen mit meinem Erbteil. Dieser Gedanke geistert seit zwei Tagen in meinem Gehirn herum und führt sich auf wie ein Eroberer. Noch ein(letztes)mal bewusst etwas ganz Neues beginnen in meinem Leben. Etwas, bei dem nur das Herz gefragt ist.
Habe ich überhaupt so viel Herz?
Könnte ich das noch schaffen mit meinen bald 67 Jahren? Ich, bei der Kochen ganz unten auf der Liste der Talente und Neigungen steht? Wieviel Geld würde ich brauchen, um so etwas auf die Füße zu stellen? Wieviel Geld würde ich brauchen, um dieses Etwas dann am Laufen zu halten? Wie lange würde ich das durchhalten können mit einer Summe Geld, für die man in Wien bestenfalls eine Garconniere kaufen kann? Gibt es in Kathmandu überhaupt Kinder, die auf der Straße leben? (Saublöde Frage. Freilich.) Welche Genehmigungen brauche ich dafür? Einen Aufenthaltstitel in Nepal würde ich auf jeden Fall brauchen. Bin ich noch gesund genug, habe ich noch die Kraft für etwas so völlig Neues, Fremdes, das 100% Einsatz von mir verlangt? Bin ich dazu überhaupt noch bereit? Noch verrückt genug?
BIN ICH BLÖD? Und warum ausgerechnet Kathmandu?
Weil es dort friedlicher ist als in Kabul. Und weil ich Nepal mag. Das Land. Die Menschen. Die Energie dort. Ja. Blöd bin ich. Ohne jeden Zweifel.
Ein aktuelles Buch über Nepal könnte ich mir trotzdem besorgen. Und anfangen zu sparen und meine Bedürfnisse zurückzuschrauben. Das wollte ich ja ohnehin. Entschlacken und mich fit machen für das Neue, das überall in der Luft liegt, das Fremde, das mit Riesenschritten auf uns zukommt.
nur um eine halbe Stunde vor dem Notartermin (Verlassenschaftsabhandlung) von meinem heißgeliebten Brüderlein die trockene Information zu bekommen: „Ich muss noch nachdenken. Ich muss in den nächsten Tagen noch mit meinen Kindern reden.“ Als gäbe es kein Telefon, als wären nicht bereits vier Monate mit Nachdenken vergangen, als hätte es die Aussage „Bis zum Notartermin habe ich mich entschieden“ nie gegeben, als hätten wir uns vor ein paar Wochen nicht endlich darauf geeinigt, das Haus zu verkaufen.
Verlassenschaftsverfahren sollten zwingend Psychiater beigezogen werden. Um 23:30 Uhr war ich wieder zuhause.
Heute Morgen vor dem Aufwachen träumte ich, dass mich meine Mutter ganz aktiv dabei unterstützte, anderen Menschen zu helfen. Diese Menschen lagen halb tot oder sterbend, zumindest alle irgendwie verrenkt auf einem Haufen auf oder neben der Straße, einer von ihnen hatte ein grobes Leinentuch über dem Gesicht, es schien daran festgewachsen, festgeklebt, es sah aus, als müsse er große Schmerzen haben. Ich stand da, wusste nicht, was tun, wo anpacken, ob überhaupt anpacken. Mir erschien die Situation ausweglos, viel zu “groß” für mich Winzling. Am besten weitergehen, dachte ich. Aber da war auch meine Mutter und sie ergriff die Initiative, packte an, wir packten an, griffen hinein in den verrenkten Gliederhaufen und gemeinsam schafften wir es, die Menschen wieder aufzurichten, aufzupäppeln. Als ich aufwachte, sah ich gerade noch den Mann, der das Tuch über dem Gesicht gehabt hatte, im Wohnzimmer meines Elternhauses auf der Couch sitzen, jetzt ohne Tuch, er war jung mit Lockenkopf, das Gesicht sehr sympathisch, er lachte.
Traumdeuter wären auch gut …
wovon sollte sich die Erde ernähren?

Würden wir nicht sterben, wovon sollten unsere Kinder leben?
Du bist jetzt am Friedhof, wo mein Bruder vor deinem Grab steht, und hier bei mir. Davon bin ich überzeugt. Oder du bist nirgendwo.
Muss eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung sein. KEINE GRENZEN mehr. Man kann überall hin, überall hinein. Keine Tür ist mehr verschlossen. Kein Berg zu hoch. Kein Dickicht zu dicht. Kein Wald zu unheimlich. Es gibt KEINE GEHEIMNISSE mehr.

Siehst du jetzt mehr als du sehen willst? Hörst du mehr, als dir lieb ist? Kannst du dich jetzt noch vor irgendetwas wegducken? Dir die Ohren zuhalten, wenn du ein Gespräch hörst, das du viel lieber nicht hören würdest?
Du kannst jedenfalls nirgendwo mehr eingreifen. Dieser Zug ist abgefahren. Das dürfte manchmal schwer auszuhalten sein, oder? Sehen, was ist, und nichts mehr tun, nichts mehr ändern können, obwohl du jetzt vielleicht weißt, was zu tun (gewesen) wäre, zuhören und nichts mehr erwidern können.
Du kannst dir jetzt nur mehr denken: „Hätte ich doch …“ Du bist jetzt draußen vor der Tür, obwohl es keine Tür mehr für dich gibt.
Und ich kann mir immer weniger vorstellen, dass ich deine kleine Gestalt nie mehr sehen werde, deine tolle „Einsteinfrisur“ in der Früh beim Frühstück, dein liebes, altes Gesicht, dein warmes Lächeln. Dass sich deine schöne, faltige Hand nie mehr auf meine legen wird. Dass ich dein „O mei, Dianei!“ nie mehr hören werde.
Als ich einer Bekannten davon erzählte, dass ich dich immer mehr statt weniger vermisse, meinte sie, ihr sei es nach dem Tod ihrer Mutter auch so ergangen. „Nach einem Jahr hatte ich das Gefühl, ich halte es gar nicht mehr aus.“
VIEL LICHT FÜR DICH! VIEL WÄRME!

Geht es dir gut?
Deine zwei Kinder fallen auseinander wie dein Körper. Da ist nichts mehr zu machen. Das ist sicher nicht schön für dich anzuschauen. Aber es ist so. Eigentlich war es immer schon so. Du wolltest nur nie etwas davon wissen.
Das ist der Nachteil, wenn man tot ist. Man kann die Augen vor unangenehmen Wahrheiten nicht mehr schließen.
WARUM?
Warum versammeln wir uns in diesen Tagen vor fauligen Überresten, vor stinkenden oder nicht mehr stinkenden Knochen oder vor kalter Asche, über die wir in den Tagen zuvor Stechlaub, Mistelzweige und frische Blumen gebreitet haben? Wieso kaufen wir Berge von weißem und rotem Plastikmüll, den wir zwischen den Blumen und Zweigen verteilen, um in jedem Stück Müll einen Docht zu entzünden, der aus einer gelblich weißen Masse herausragt und je nach Größe dieser Masse bis zu 48 Stunden (oder auch länger) müde vor sich hin flackert, während sein milchig weißes oder rotes Outfit Jahrhunderte zum Verrotten brauchen wird?
Wem bedeutet das WAS?
Ich habe diesen Friedhofskult schon als Kind nicht verstanden. Allerheiligen und Allerseelen waren die zwei trostlosesten Tage im Jahr. Nett und adrett und neu eingekleidet, geschniegelt als Teil der allgemeinen Herbstmodenschau am sogenannten „Hof des Friedens“ über eine Stunde lang wie angewurzelt in der Kälte stehen, manchmal schon im Schnee, die nagelneuen Stiefel noch kein bisschen ausgeleiert, entweder stumm wie ein Holzklotz oder notdürftig und widerwillig die vielen “Vater unser” und Rosenkränze mitleiernd mit dem leiernden Gewabble, das sich über den Gräbern ausbreitet wie aschgrauer Griespudding und zu Allerheiligen von hunderten “Bitt für uns” durchlöchert wird, und keine Ahnung haben, wozu dieses triste Getue und aufdringliche Gebitte gut sein soll, außer dass vielleicht den Würmern auch noch der Appetit vergeht.
Kein Verstorbener kann diese trübe Prozedur wollen. Da bin ich mir heute noch genau so sicher wie als Kind.
LIEBE. LICHT. Eine weiße, brennende Kerze. Warme Gedanken. Ein Platz im Herzen. Das würde ich wollen.

ist Sterben leicht wie eine Feder
ganz und gar keine traurige Angelegenheit
eine Orgie eher
bei der jeder nur ein leichtes Gewand trägt
oder (fast) keines.
los-lassen
los-lassen
los-lassen
das Gerümpel
das Unnötige
das Überflüssige
das schon faulig Stinkende
den Zuckerguss
das Viel zu viel, das das wenige Wichtige überdeckt und unsichtbar macht
die massenhaften Ängste
die Billionen Wehleidigkeiten
den Ozean an Faulheiten
die Fettpolster an Geld, Immobilien, Wertanlagen
die hundert Anker, die uns am Aufbruch hindern, am Weitergehen, die uns festbinden und -halten in unserem überbrauchten WOHLSTAND, in unserem heißbegehrten Wachstum an Übergewicht und schwabbeliger Unbeweglichkeit.
ENTSCHLACKUNG ist das Wort der Stunde. Freiwillig oder unfreiwillig.
Ein bisschen Sterben, damit ein bisschen Leben wieder möglich wird.
Damit ich meine Herbst- und Winterhosen wieder anziehen kann.
Heute Morgen, nachdem ich auf der Waage gestanden war, um zu schauen, wie viel ich in den letzten drei Tagen abgenommen habe, dachte ich: Es ist irre. Wir in den reichen Ländern müssen fasten, wenn wir gesund bleiben und halbwegs annehmbar ausschauen wollen, viele rennen durch die Gegend wie lebende Tonnen, unendlich viele werden krank vom vielen Essen, sterben an den Folgekrankheiten, während Millionen und Millionen Menschen anderswo hungern, verhungern, ihren Kindern beim Verhungern zuschauen müssen und nichts dagegen tun können. Wir sind entweder blind oder tot oder irrsinnig. Unmenschlich in jedem Fall.
Solche Gedanken werden sehr klar bei einer Reinigung. Erbarmungslos klar.
Ich war sicher nie eine Tochter, wie du sie gern gehabt hättest und du warst keine Mutter, wie ich sie gern gehabt hätte. Alles andere als das. Du warst für mich, die ich dem Dienstmädchen (zum Glück dem liebevollsten auf der Welt) zur Betreuung und deinen Eltern zur Erziehung zugewiesen war, eine kalte, unerreichbare Fremde. Als ich mit 14 Jahren mein Elternhaus, in dem ich jetzt sitze und schreibe, verließ, tat ich es mit riesengroßer Freude und empfand das Internat, in das ich geschickt wurde („um eine standesgemäße Erziehung zu erhalten“), im Vergleich dazu als Paradies und die anschließenden Studienjahre als Freiheit pur. Mit meiner unterkühlten, nur auf Titel, Stand und Ansehen bedachten Familie wollte ich nur mehr so viel zu tun haben, wie unbedingt notwendig war. Ich dachte nie, wirklich nie an dich und fuhr nur „nach Hause“, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
Aber du warst hartnäckig. Du hast den Kontakt nie ganz abbrechen lassen, du hast dich um mich aus der Ferne bemüht und gekümmert, obwohl du von mir nie ein Danke dafür gehört hast, und auf diese beharrliche Weise hast du mich im Lauf der Jahrzehnte so weit in deine Nähe geholt, dass wir es geschafft haben, die hunderttausend Knöpfe zwischen uns aufzulösen und zwar so, dass am Schluss keiner mehr übrig war. Dieser Prozess hat 66 Jahre gedauert, aber wir haben es geschafft! Ohne einen gegenseitigen Vorwurf durften wir das letzte Stück deines Weges miteinander gehen und uns in gegenseitiger Achtung, gegenseitigem Verstehen und Liebe voneinander verabschieden.
Wir haben miteinander Frieden schließen können, Oma! Das grenzt für mich an ein Wunder und ist VIEL wertvoller als irgendein Erbteil.
Vor ein paar Jahren noch hätte ich mir das nicht vorstellen können, vor einigen Monaten noch hatte ich Angst, dass an deinem Sterbebett möglicherweise irgendwelche tief vergrabenen, nie an die Oberfläche gelassenen furchtbar finsteren Gedanken, Gefühle aus mir hervorbrechen könnten. Aber da war nichts mehr, nur Achtung, Verständnis und Liebe.
Omalein, DANKE für alles! Wir sind beide winzige Menschen, aber wir haben uns sehr bemüht. Du mehr als ich. Und wir haben es geschafft!!! Wir haben „die Kurve gekriegt“!!!
Hätte ich keine Kinder, wäre die Entscheidung, ob ich um meinen Erbteil streiten soll oder nicht, möglicherweise ziemlich schnell getroffen. Aber ich denke an meinen Sohn und was ich ihm als meinem Kind schulde und was er alles nicht bekommt an finanzieller Unterstützung und/oder späterem Erbe, wenn ich meine Forderungen jetzt herunterschraube oder ganz darauf verzichte.
Was schulde ich meinem Sohn? Schulden Eltern ihren Kindern, sie finanziell bestmöglich zu versorgen und mit Geldpolstern für Notzeiten auszustatten? Mein Kind lieben und versuchen ihm zu helfen, wenn es Hilfe braucht, kann ich auch mit wenig Geld. Es bekommt in diesem Fall sogar ein großes Stück mehr von mir, weil es mehr Liebe bekommt, weil ich mich mehr anstrengen muss.
Und wenn ich in mich hineinfühle, weiß ich, dass ich mich mit wenig Geld wohler fühle als mit mehr. Ein dicker Geldpolster würde mich und mein Gewissen irgendwann erdrücken. Ich müsste ständig an die Millionen und Millionen Menschen denken, alt, jung, ganz jung, gerade erst geboren, die rund um den Globus in Wellblechhütten oder Erdlöchern oder windigen Zelten vor sich hin (ver)hungern und (er)frieren oder flüchten und nirgendwo ankommen dürfen. Diese Last würde ich auf die Dauer ganz schlecht aushalten. Ich müsste mich von diesem Geldpolster trennen wie von einem Mühlstein. Ich könnte ihn nicht für meinen Sohn aufbewahren. Ich müsste ihn weitergeben.
Denn mein Sohn hat genug. Er lebt in einer reichen Gesellschaft mit hohen sozialen Standards, er hat reichlich zu essen und zu trinken und leider auch zu rauchen, er hat ein solides Dach über dem Kopf, er ist kranken- und haftpflichtversichert, er hat noch beide Elternteile, seine Lieblingstante, sonstige liebe Verwandte. Er hat sogar eine eigene Putzfrau (seine Mutter)! Was bitte braucht er mehr?
Und was ist, wenn das alles zusammenbricht, verdörrt, weggeschwemmt wird? Klimawandel, Putin, Nuklearkatastrophe, soziale Verwerfungen und Unruhen, vielleicht sogar Krieg? Alles leicht möglich. Dann müssen wir hungern, wie Millionen und Millionen es jetzt schon tun, und einander helfen, so gut wir können. Oder wäre es erstrebenswert, wenn wir uns dann aus dem Staub machen könnten, weil wir vorher das nötige Geld gehortet haben in unserem Käfig aus vorbeugender Angst und satter Bequemlichkeit?
Wenn wir leben sollen, wird das Leben dafür sorgen. (Franz von Assisi mit anderen Worten)
Das nächste Stück Weg ist mit so grauenhaften (W)Orten wie Erbschaft, Verlassenschaftsverfahren, Einantwortung (dieses Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen) verbarrikadiert. Und dieses Stück müssen wir zwei Geschwister gemeinsam gehen.
Aber wie gehen zwei gemeinsam, wenn einer steht wie ein in die Erde gerammter Pflock?
„Nein. Ich brauche noch Zeit. Ich bin noch nicht so weit.“
„Nein. Lass die Finger davon!“
„Nein. Das kann alles noch warten. Wir haben überhaupt keine Eile.“
„Nein. Ich möchte jetzt noch nicht mit dir sprechen.“
HILFE!
Wie sollen wir uns einig werden? Unser Erbe ist einzig und allein ein Haus. Das können wir nicht einfach in der Mitte auseinanderschneiden und jeder geht mit seiner Hälfte seinen Weg. Wir müssen gemeinsam eine Lösung finden.
Wie finden zwei gemeinsam eine Lösung, die als Kinder entweder getrennt gelebt haben oder wenn nicht, täglich mindestens einmal gerauft haben und die als Erwachsene am besten miteinander auskommen, wenn ganz Österreich zwischen ihnen liegt?
Verzicht wäre natürlich auch eine Option. Dann erspare ich mir das Affentheater … Es ist NUR Geld.
Ob es vielen Erben so geht wie mir jetzt? Dass sie wohl glauben, zu wissen, was (nicht) da ist an Geld und sonstigem Vermögen, aber eben nur glauben zu wissen und deshalb dasitzen vor Papierbergen, niemand mehr fragen können und Ordner um Ordner, Papierstoß um Papierstoß, Schublade um Schublade durchwässern auf der Suche nach …?
Wie sorgfältig sie war. Wie genau ihre Buchhaltung. Bis vor etwas mehr als einem Jahr hat sie noch selber Buchhaltung gemacht. Allein. Vor einem Jahr war sie 99 Jahre alt. Eine erstaunliche Frau.
Zwischen Steuererklärungen, Rechnungen, Kontoauszügen plötzlich das eine oder andere ganz Andere, das freundlich herausblitzt aus diesem grau in grau und die eingeschlafenen Lebensgeister wieder befeuert, wie etwa der irische Reisesegen, den wir vor dem Begräbnis gesucht haben wie eine Nadel im Heuhaufen und dessen letzte Strophe lautet:
„Weich sei die Erde, wenn du auf ihr ruhst, müde am Ende des Tages. Und leicht ruhe die Erde auf dir, am Ende deines Lebens, dass du sie am Ende leicht abschütteln kannst und auf und davon gehen auf deinem Weg zu Gott.“
Sie hat alles aufgehoben. Wie ein Hamsterlein. Sogar am Dachboden gibt es noch massenweise Ordner, die ich allerdings nicht antaste. Mir genügt das, was ich in Schubladen und Kästen finde. Sie hätte Bücher schreiben können über ihr Leben im Krieg und später als Flüchtling und hungernde Studentin im Wien der Nachkriegsjahre.
Am Ende dieser drei Tage habe ich keine versteckte Million gefunden, nur ein Bündel wertlose Aktien, aber ich habe VIEL gelernt über die Frau, die unter anderem meine Mutter war. Ich bin ein bisschen kleiner und sie ist ein bisschen größer geworden.
Es ist so wichtig für mich, mir Zeit zu nehmen DAFÜR. Den Menschen, der meine Mutter war, zu entdecken und so viel wie möglich von dem, was ihn ausgemacht hat, an mich heranzulassen, zu berühren, begreifen mit meinen zehn Fingern, auch die Teile, die ich als sein Kind nie kennengelernt habe.
Und diesen Menschen dann in Frieden gehen lassen. Und selber weiter gehen.
Ich trage deine Jacken, T-Shirts, Schuhe, Haus- und Trainingsanzüge, die eine oder andere Bluse. Diesmal habe ich kaum eigenes Gewand mitgebracht. Du warst eine sehr elegante Frau. Und ich mag sehr legere Kleidung. Ich fühle mich wohl in vielen deiner Sachen, angenommen und willkommen.
Am späteren Abend, wenn es kühl wird im Salzburger Gebirgstal, noch dein wollenes Gössl-Schultertuch. Das kratzt ein bisschen am Hals. Das werde ich mir für den Winter aufbehalten.
Glaubst du, das ist ein gutes Gespann? Ich trage seit 40 Jahren keine Ohrringe mehr. Und jetzt baumeln plötzlich mehr als 100 Jahre alte daran.
Beim Telefonieren klappert es.
In den ersten Tagen rede ich viel mit meiner Mutter (ich sage seit 40 Jahren Oma zu ihr, seit mein Sohn auf der Welt ist). Es fühlt sich ganz normal an. Kein bisschen komisch.
Sobald es am Abend dunkel wird, Kerzen. Ganz wichtig. Ich schlafe gut.
Allein. Wie an einem Gummiband hat es mich hergezogen. Auch wenn ich mich ein bisschen fürchte. Was erwartet mich? Wie mutterseelenallein werde ich in diesem Haus sein?
Gar nicht. Ich bin willkommen. Eine feine, warme, heimelige Atmosphäre.
Das Grab ist jetzt kein Hügel mehr. Es ist schon eingeebnet und hat eine hölzerne Umrandung. Blumen. Kerzen.
Gut ist es hier. Hier ist jetzt mein Platz. Schauen. Fühlen. Spüren. Aufmerksam sein. Offen für das, was ist. Hier. In mir. Rundherum. Fragen stellen. Antworten bekommen. Wenn es sein soll, heulen. Wenn es sein darf, glücklich sein. HIER SEIN. Mit allem, was hier ist.
Wie mein Bruder das macht, ist mir schleierhaft. Er wird erst zu Allerheiligen wieder hierherkommen. Bis dahin habe ich abgeschlossen, was er noch nicht einmal angefangen hat.
Wir sind so verschieden wie Tag und Nacht. Deshalb können wir auch nicht miteinander. Wie soll das gehen mit dem gemeinsamen Haus?
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in Notschlafstellen mitarbeiten, Erfahrungen, Gedanken, Fragen in dieses Blog werfen wie gewürfeltes Gemüse in einen 10 Liter-Topf (so groß sind die Töpfe für die Eintöpfe dort), dem Wort obdachlos nachgehen, aus den Notschlafstellen hinaus, das Etikett „wohnungslose Menschen“ herunterkratzen von diesem Begriff, der so riesig wie die Straße lang ist und so viele Gesichter hat wie sie, das eine oder andere entdecken, in dieses Blog werfen wie Gemüsewürfel, auf der Straße gibt es keine Topf- und keine Buchdeckel, sie ist endlos wie der Himmel, also stirbt auch die Hoffnung nie
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