Trump. Putin. Kickl & Co. Elon Musk & Co. Stürme. Feuer. Wasser. Leere Köpfe. Bäuche wie Medizinbälle. Fehlende Beine. Augenhöhlen ohne.
Wohin? Der nächste Schritt. Wohin?
LIEBE. Bitte führe mich. Uns.
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Trump. Putin. Kickl & Co. Elon Musk & Co. Stürme. Feuer. Wasser. Leere Köpfe. Bäuche wie Medizinbälle. Fehlende Beine. Augenhöhlen ohne. Wohin? Der nächste Schritt. Wohin? LIEBE. Bitte führe mich. Uns. um sich Lass uns unsere Marius Frey, Sylvester 98/99 (Titel: Neujahr) Der schönste Jahresbeginn, den ich je erlebt habe!” So ein Spaziergänger heute gegen Mittag in den Weinbergen bei Klosterneuburg. Der Raureif hatte diese Herrlichkeit geschaffen mitten im satten Grün. Ich hatte mir einige Minuten vor dieser Begegnung in etwa das Gleiche gedacht: Ein gnadenlos schöner Tag. Ein gnadenlos schöner Anfang. 2025 wird absehbar gnadenlos bleiben. Schön? Wenn wir bereit sind, unter Schönheit das Potential für inneres Wachstum zu verstehen, JA, ohne jeden Zweifel. als ich erwartet hatte. Keine großartigen Hilfsprojekte. Familie. Eine kleine Wohnung in Graz. Eine ZEN-Gruppe. Und das Gefühl, dass das so passt. Welches Afghanistan-Projekt? Ursprünglich war es kein Projekt. Ursprünglich war es ein einzelner junger Mann, 22 Jahre alt, ein junger Afghane, den ich 2018, 2019 durch sein Asylverfahren und später in Afghanistan begleitet habe. Wen seine Flucht- und Asyl-Geschichte interessiert, kann sie auf meiner Webseite nachlesen (TEXTE/Samuel T., Kapitel 1, S. 14-16, 20, 31-40). Er ist “der junge Kabuli mit den vier toten Brüdern”. Im Text habe ich ihm den Namen Sarwar gegeben. Das ist der Name seines (toten) Lieblingsbruders. Tatsächlich heißt er Jawad wie tausende andere Afghanen auch. Er ist ein junger Intellektueller, literarisch interessiert, ich glaube, er würde auch gut schreiben, im praktischen (Über)Leben allerdings äußerst ungeschickt. Und dazu noch traumatisiert und eigensinnig, mit einem Hang zur Selbstzerstörung (so weigerte er sich beispielsweise vehement, seine Traumatisierung ärztlich begutachten zu lassen, obwohl ihm das im Verfahren sicher geholfen hätte). Alles in allem keine gute Basis für ein Leben in Afghanistan … Und da er keine Familie mehr hatte und mir die Verhältnisse in Afghanistan aus den Länderberichten hinreichend bekannt waren, befürchtete ich, dass dieser Traumtänzer dort allein sicher nicht überleben wird. Deshalb habe ich ihn nach der negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (alleinstehende, junge, augenscheinlich gesunde, gebildete Männer, die vor ihrer Flucht in Kabul gelebt hatten, wurden damals grundsätzlich zurückgeschickt, auch wenn kein familiäres Netz und keine sonstige Verwandtschaft mehr vorhanden war) auch im Verfahren vor den Höchstgerichten unterstützt. Da es aber leider keinen Verfahrensfehler gab und die Beweiswürdigung frei ist und ausführlich genug war, wurden die Rechtsmittel abgewiesen. Und Jawad war geschockt und fertig genug, das Handtuch zu werfen und freiwillig nach Afghanistan zurückzukehren. Das wiederum konnte ich nicht mit ansehen, ohne ihm immer wieder zu helfen, wenn ich das Gefühl hatte, jetzt wird es zu eng. So hielten wir sporadisch Kontakt. Als im Frühsommer 2021 die Machtübernahme durch die Taliban absehbar war, beschloss ich, ihn aus Afghanistan herauszuholen. Er fiel aus allen Wolken, murmelte verdattert “But I don’t have a passport!” und ich startete eine Spendenaktion innerhalb meiner Familie und meines Bekanntenkreises, um Geld für seine Flucht zu sammeln. (Das war meine einzige Spendenaktion und äußerst aufschlussreich … Über einige Spender und Spenden habe ich mich sehr gefreut. Aber für die vielen im Wohlstand lebenden Groscherlnklauber in meinem näheren Umfeld habe ich mich so geschämt, dass ich mir vorgenommen habe: Nie wieder! Entweder ich helfe aus Eigenem oder ich helfe nicht.) Jawad beantragte währenddessen im Dohuwabohu der bevorstehenden Einnahme Kabuls durch die Taliban einen Reisepass. Die Tage, als sie die Macht übernahmen, und die Wochen nachher waren aufregend wie ein Krimi. Jawad berichtete täglich mehr oder weniger live aus Kabul. Er war natürlich auch täglich am Flughafen, nur an dem Tag des blutigen Attentats durch den IS (unmittelbar beim Flughafen Kabul im September 2021, als alle Afghanen panikartig das Land verlassen wollten) zum Glück nicht. Die Menschen mussten Unglaubliches durchgemacht haben in diesen Tagen. Niemand wusste, was im nächsten Augenblick passieren würde, wie sich die Taliban als frischgebackene Herrscher verhalten würden. Auch in den Nächten war die Angst groß. Jawad gehört zu einer Volksgruppe, die sowohl vom IS als auch von den Taliban abgelehnt wird. Aber es wurde Herbst und niemand klopfte an seine Tür und holte ihn. Und es wurde später Spätherbst, als er den Reisepass endlich bekam. Jetzt war es zu spät im Jahr, die Wetterverhältnisse zu schlecht, um die Flucht anzutreten. Das sah auch Jawad ein. Und er fragte, ob er das Geld für die Flucht vorerst in ein Taxi investieren dürfe, damit würde er über den Winter bis ins Frühjahr hinein seinen Lebensunterhalt verdienen und vielleicht noch ein bisschen Geld dazuverdienen können. Alle Spender waren mit dieser vernünftigen Lösung einverstanden. Das mit dem Taxifahren funktionierte recht gut und irgendwann erzählte er mir, dass er begonnen habe sich um die schwangere Frau eines Freundes zu kümmern, der bei dem erwähnten Attentat des IS beim Flughafen Kabul im September 2021 schwer verletzt und einige Tage später gestorben war. Ich fand das super. Als das Kind zur Welt kam, es war ein Mädchen, gab sich Jawad vor der Behörde als Vater an und heiratete die Frau. Auch das fand ich super. Dass sich die Flucht dadurch wieder verschob, war klar. Jawad besorgte allerdings sofort Pässe für seine beiden Damen … und sorgte in der Folge liebevoll und ohne weitere finanzielle Unterstützung von meiner Seite für seine kleine Familie. Endlich war er nicht mehr allein. Ich war sehr zufrieden mit dieser Entwicklung. Und stolz auf diesen unüblichen afghanischen Mann. Aber die Taliban schränkten die Rechte der Frauen immer mehr und mehr ein. Und das Wort Flucht tauchte immer öfter wieder auf. Und ich verstand die beiden gut. Jawads Frau war vor der Machtübernahme durch die Taliban Sportlehrerin gewesen. Jetzt durfte sie nichts mehr. Nur mehr zuhause sitzen. Und die Tochter würde absehbar nicht mehr als die Grundschule besuchen dürfen, wenn überhaupt. Denn in einigen Jahren konnte alles noch viel schlimmer sein. Das waren keine Zukunftsperspektiven. Das waren Aussichten in ein Kellerloch … Also fing Jawad an, Pläne zu schmieden, wissend, dass es in einer Entfernung von 4.560 km Luftlinie jemand gab, der bereit war zu helfen. Zu dritt, noch dazu mit einem Kleinkind, ist eine Flucht allerdings etwas ganz anderes als wenn man sich als junger Mann allein auf den Weg macht. Ich konnte aus seinen Mails förmlich hören, wie er sich den Kopf zerbrach. Für mich stand fest: Ich will die drei legal in Sicherheit bringen. Ohne Schlepper, ohne illegale Einreise irgendwo, ohne illegalen Aufenthalt. Sie mit regulären Aufenthaltstiteln nach Österreich zu bringen, hätte meine finanziellen Möglichkeiten allerdings gesprengt. Aber solange sie noch halbwegs ungeschoren in den Iran reisen konnten, konnte ich ihnen helfen, von dort aus ganz regulär mit Visa in einen Staat mit einem UNICEF- oder UNHCR-Lager zu reisen, von wo aus Afghanen im Rahmen eines Resettlement-Programms an Staaten vermittelt werden, die sich bereit erklären sie als Flüchtlinge aufzunehmen. In diesem “Zwischenstaat” müssten sie zwar einige Jahre leben, aber besser als in Afghanistan wäre es allemal. Man muss nur ein Land finden, in dem sie sich während dieser Wartezeit über Wasser halten können. Ich holte Informationen ein und schickte sie Jawad. In Malaysia beispielsweise dürfen die Flüchtlinge nach ihrer Registrierung im UNICEF-Camp ganz regulär leben und arbeiten. Auch Frauen. Die Wartezeit bis zur Aufnahme durch einen am Resettlement-Programm beteiligten Staat ist allerdings sehr lang, weil sehr viele Flüchtlinge dort auf eine Aufnahme warten. Der Freund eines mir bekannten Afghanen hat 8 Jahre gewartet. Aber diese Wartezeit hat sich ausgezahlt. Jetzt lebt er in Neuseeland. Das ist doch allemal besser, als ein Kleinkind bei einer schlepperunterstützten Flucht nicht absehbaren Gefahren auszusetzen. Und eine Reise nach Malaysia mit zeitlich ausreichend dimensionierten Visa zu organisieren wird ja nicht so schwer sein. Dachte ich … Jawad war schon mitten in der Aufbruch-Euphorie, als eine Bekannte mit Kind auftauchte, deren Mann schwerer Alkoholiker war und sie mit ihrer kleinen Tochter sitzen hatte lassen. Jawad fragte mich nicht. Er erzählte mir nur von ihr. Ich fragte ihn. Ich wollte ohnehin afghanischen Frauen helfen, warum also nicht gleich diesen beiden? Sie mussten ja nicht unbedingt mit nach Malaysia, ein Leben im Iran wäre für sie wahrscheinlich auch schon besser als in Afghanistan. Spätestens jetzt hatte ich “mein Afghanistan-Projekt”. Es würde viel Geld kosten, aber ich würde fünf jungen Menschen helfen können. Nach der Finanzierung dieser Flucht würde ich mich allerdings aus ihrem Leben ausklinken, auch aus dem von Jawad, und ihnen/ihm keinen Cent mehr schicken. Das vermittelte ich Jawad eindrücklich. Wir mailten wochenlang hin und her, ich diskutierte mit ihm die Gefahren und möglichen Probleme bis zum Umfallen. Er war so zuversichtlich, so motiviert. Er explodierte fast vor Glück. Ich holte ihn von seinen Wolkentürmen immer wieder herunter und versuchte ihm die mit der Flucht verbundenen Gefahren bewusstzumachen und das Risiko, das sie alle eingingen, wenn sie die Existenzgrundlage, die sie jetzt in Afghanistan hatten, aufgeben und ins Ungewisse reisen. Die fünf hatten nämlich beschlossen, gemeinsam zu reisen, da die alleinstehende Frau mit Tochter in keinem der Nachbarstaaten einen Verwandten hatte, der sie aufnehmen könnte. Jawads Euphorie wuchs in den Himmel, meine Bedenken wurden von Tag zu Tag größer. Würde er das wirklich schaffen? Aber dann dachte ich, dass jeder Mensch das Recht auf eine große Chance in seinem Leben hat. Wieso soll er diese Chance nicht bekommen? Und in Malaysia dürfen sie arbeiten und die Frauen müssen sich nicht hinter Schleiern und Burkas verkriechen. Das ist doch für alle besser als ein Leben in Afghanistan. Aber bevor ich den letzten Teil des Geldes (für die neu dazugekommene Frau mit Kind) auf die Reise schickte, bat ich Jawad, dass sie sich noch einmal in aller Ruhe zusammensetzen und gründlich überlegen und besprechen sollen, ob sie die Flucht tatsächlich wagen oder das Geld besser zum Überleben in Afghanistan oder im benachbarten Iran verwenden wollen. Auch damit wäre ich einverstanden. Die Antwort war absehbar. Dazu noch jede Menge euphorischer Draufgaben wie diese: “I promise you, happiness will never disappear from their faces again” Oder so ähnlich. Von wegen … Er hat alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Ich war verblüfft, dass man so viel falsch machen kann und vor allem, was man alles falsch machen kann. Eine Hiobsbotschaft folgte auf die nächste. Und ich hatte keine Möglichkeit mehr, einzugreifen. Es war, als habe er in seiner Fluchtpanik oder -manie oder -euphorie den Bezug zur Realität komplett verloren. Ich war zwischendurch so wütend, dass ich den Kontakt abbrach. Damals war ich gerade in Nepal. Letztendlich hat er es nicht einmal geschafft, sich und seine Schäfchen aus Afghanistan hinauszubringen. Er hat sich dermaßen ungeschickt und zum aufs Hirn greifen blödsinnig angestellt, dass sie von den Taliban noch vor ihrer Ausreise am Flughafen Kabul abgefangen wurden. Man hat ihnen alles abgenommen (Geld, Pässe, Flugtickets), sie einige Wochen ins Gefängnis gesteckt, Jawad einige Peitschenhiebe verpasst und alle mit einem Ausreiseverbot belegt. Geschehen im Jänner und Februar dieses Jahres. Das war mein Afghanistan-Projekt. Ein sauteurer Spaß … Ich habe in der Folge die Verbindung zu Jawad beendet. Genauso, wie ich es ihm vorher angekündigt und eingeschärft hatte. Jetzt muss er seinen Weg ohne mich gehen. Vielleicht hilft ihm das sogar. Wenn er weiß, dass da nichts und niemand mehr ist. Nur er. Und seine Familie, die ihn dringender braucht denn je. Ob es mir leid tut, dass ich so viel Geld investiert habe? Gelegentlich JA. Meistens aber NEIN. Ich wollte einer Gruppe junger Menschen die Chance geben ein besseres Leben zu leben. Ich wollte nicht von vornherein sagen, das geht nicht, das schafft Jawad nicht. Traumtänzer schaffen viel. Auch Jawad. Es dauert nur länger. Und es ist harte Knochenarbeit. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich musste knallhart in der Realität aufschlagen, mit Kind und ohne irgendeine Hilfe. Erst dann habe ich bemerkt, dass auch ich Beine zum Aufstehen und Gehen habe. Und dass ich eigentlich ganz brauchbar bin. Auch außerhalb meiner Traumtänze. Ich werde zwar nichts mehr davon erfahren, aber ich bin zuversichtlich. ICH WÜNSCHE DIR AUS GANZEM HERZEN ALLES GUTE, JAWAD! Viel weniger als gedacht … Im “Blind Center” (Artikel vom 8., 24. und 25. November 2023) gibt es neue Duschen und Toiletten, einige Waschbecken, eine Waschmaschine und Solarpanele fürs Warmwasser. Für die Kühe und Hühner gibt es irgendwo außerhalb einen “Stall” (sprich: einen Verschlag). Pramid (der kleine Waisenjunge) besucht eine Privatschule. Und damit er sich dort wohler und am Schulweg und beim Hausaufgabenmachen nicht so allein fühlt, besucht auch seine Freundin Sangita (ein etwa gleichaltriges Mädchen, das ebenfalls im Blindcenter lebt) diese Privatschule. Das war’s dann aber schon. Frauen, die für halbwegs Sauberkeit im “Blind Center” sorgen und am Nachmittag mit den Kindern Hausaufgaben machen, gibt es nicht. Dieser Teil des Projektes ist an einem Satz gescheitert: “In Nepal educated women never do the cleaners job.” Und an meinem Zorn über dieses blödsinnig verbohrte Kastendenken. Und als ich erfahren habe, dass infolge der neuen WC- und Duschanlagen weitere Familien und Kinder in dieses “Blind Center” aufgenommen worden sind und jetzt in diesen winzigen Wellblechhütten 35 Erwachsene und 28 Kinder - also insgesamt 63 Menschen !! - leben, habe ich jede weitere Unterstützung für diese Einrichtung abgelehnt. So war das nicht ausgemacht. Ich wollte den dort lebenden Kindern ein halbwegs menschenwürdiges Dasein ermöglichen. Das war mein ausdrücklicher Wunsch. Ich wollte nicht, dass sie mit noch mehr Menschen zusammengepfercht werden und dass noch mehr elternlose Kinder in dieses kleine Center mit Behinderten (die sich selbst kaum helfen können) gestopft werden. Damit ist auch das für die Zukunft angedachte weit größere Projekt “Burnt Women & Orphans” (Artikel vom 11. und 25. November 2023) tot. Denn wenn die Zusammenarbeit nicht einmal bei so einem Mini-Projekt funktioniert, wird das bei einem großen Projekt nicht anders sein. Vielleicht bin ich engstirnig, aber ein bisschen mitreden möchte ich als Geldgeber schon dürfen. Außerdem wurde mir nie auch nur ansatzweise ein Plan/Projekt vorgelegt. Ich glaube mittlerweile, dieses Projekt hat von Anfang an nur in meinem westlichen Träumer-Kopf existiert. Chhultim und Sita dürften nie daran geglaubt haben. Sie leben - beide körperlich selbst behindert - in der nepalesischen Realität, deren glasklare Härte ich Wohlstandsbürgerlein nie ganz an mich herangelassen habe. Es wird wohl so sein, wie Chhultim zum “Blind Center” und den Verhältnissen in Nepal schreibt: “Now there are 35 adults and 28 kids, sharing same room. They have adjusted and prefer to live together than to sleep in road. They are fine and happy to get space in center.” Und in einer anderen Nachricht: “It’s better than nothing. We can’t go to European standard since we don’t have any strong doner to provide all kind of facility as you imagine.” Wir sind nach wie vor in loser Verbindung. Die beiden meinen es - ohne jeden Zweifel - gut und bemühen sich sehr. Vielleicht schaffe ich es ja irgendwann, MEIN Kastendenken abzulegen. Aufzuhören zu glauben, dass ich besser als die vor Ort Lebenden weiß, was die “armen” Menschen dort brauchen und was gut für sie ist und wer von den zahllosen Armen dort ärmer bzw. “hilfswürdiger” ist als andere. (Frage an mich: Ist das eine Form von “Kolonialherren-Denken”?) Bis dahin werde ich mich darauf beschränken, Chhultim einmal jährlich das Schulgeld für Pramid und Sangita zu schicken. Ihre ersten Zeugnisse schauen gut aus. wenn ich morgen nach Hause fliege:
Vielleicht gibt es bis dahin schon ein Projekt von Sita, in dem “Burnt Women & Orphans” gleichermaßen Platz haben (Artikel vom 11.11.23). Let’s see. Maybe … Und einen Riesenbauch muss ich morgen auch mit nach Hause schleppen, weil ich SO viele SO gute Momos und Thukpas und andere Köstlichkeiten gefuttert habe … Hoffentlich lässt man ihn am Flughafen als Handgepäck durchgehen. Die 20 Kinder (13 von ihnen ohne Eltern, weil sie entweder tot sind oder die Kinder verlassen haben oder weil sie zu arm sind, um sie zu ernähren) bekommen ein Minimum an Betreuung, Sauberkeit und Platz. 1) Die Kühe und Hühner werden aus dem Wohnbereich verbannt (eigentlich unglaublich im 21. Jahrhundert …) 2) Zwei Frauen werden eingestellt, die sich um die Kinder kümmern, ihnen bei den Hausaufgaben helfen und - auch ganz wichtig - putzen und die Wäsche für die Kinder machen (Kostenpunkt 300 € pro Monat - für beide! Auch unglaublich …) 3) Dort, wo Kühe und Hühner Platz machen, kommen ein bis zwei Toiletten hin, ein Duschraum und ein Wäscheraum mit Waschmaschine. 4) Der sogenannte Gebetsraum wird unter der Woche zu einem Raum für die Kinder zum Hausaufgabenmachen umfunktioniert - sprich Tische und Stühle werden aufgestellt und eine brauchbare Beleuchtung installiert. 5) Pramit, das jüngste Waisenkind (Seine Mutter hat ihn nach dem Tod seines Vaters im Alter von zwei Jahren allein zurückgelassen, jemand hat ihn ins Blind Center gebracht, mittlerweile ist er 4 Jahre alt), wird ab Beginn des nächsten Schuljahres einen privaten Kindergarten oder eine Privatschule besuchen. Er soll (wenigstens) eine gute Ausbildung erhalten. Das ist ein ANFANG. Und nur als Übergangslösung gedacht. Fortsetzung folgt - hoffentlich im Lauf des nächsten Jahres. Ein Stupa ist ein großes, kuppelförmiges buddhistisches Heiligtum und der Stupa von Boudha ist einer der größten weltweit. Seine riesige, weiße Kuppel steht auf drei zwanzigeckigen Stufensockeln, die dem Bauwerk etwas Sternförmiges, Mandalaartiges geben. Auf der Kuppel sitzt der goldfarbene (oder goldene?) Turm, auf dessen vier Seiten die Augen des Buddha aufgemalt sind. Über den Augen, quasi über der Stirn des Buddha, sind verschiedenfärbige Stoffbahnen so lose angebracht, dass sie sich im Wind ständig bewegen wie Rüschen. Darüber verjüngt sich der Turm zu einer Spitze, die von einer Art Mütze oder Schirm überdacht wird, die/der wieder mit wehenden Stoffbahnen umrandet ist und von der/dem aus sich die endgültige Spitze erhebt. (Ach wie einfach wäre es, könnte ich Fotos hochladen …) Von diesem Turm aus sind unzählige Gebetsfahnen auf die vielen Ecken der Stufensockel heruntergespannt, deren buntes Flattern dem tonnenschweren Bauwerk etwas Leichtes, ausgesprochen Freundliches gibt, ich würde sogar sagen, eine gewisse Schwerelosigkeit. In der Ringmauer, die den Stupa nach außen hin abschließt, sind viele Gebetsmühlen eingelassen, die von den Gläubigen beim Umrunden des Stupa gedreht werden oder auch nicht und die - zumindest derzeit - den ganzen Tag über von einem ununterbrochen vor sich hinredenden oder -singenden, gelegentlich auch fürchterlich schimpfenden jungen Mönch geputzt werden. Neben Nieschen mit Buddhafiguren gibt es in der Ringmauer auch einen kleinen Raum, in dem die Pujas stattfinden, die Gläubigen ihr Geld, Lebensmittel, und was weiß ich, was sonst noch abliefern und sich die heißersehnten blessings holen. Außerdem gibt es diverse Schreine, Statuen, zwei wunderschöne Elefanten u.u.u. Vielleicht ist es die schiere Größe dieses weißen Kolosses mit dem goldenen Turm, oder sind es die Augen, die überall und immer da sind, vielleicht ist es beides oder etwas ganz anderes, das dem Stupa etwas Mächtiges gibt, das durch die sich ständig im Wind bewegenden Gebetsfahnen und Stoffrüschen unglaublich präsent und lebendig ist. Und diese Lebendigkeit und Beweglichkeit scheint sich in den Gläubigen fortzusetzen, die den Stupa im Uhrzeigersinn umrunden und zwar so gut wie immer. Egal, ob ich in der Früh, untertags oder am Abend hinkomme, es bewegt sich konstant ein Strom von Menschen rund um diesen Stupa, manchmal ist es ein reißender Fluss (wie etwa am Abend nach dem Erdbeben vor zwei Wochen), meistens ein blätschernder Bach, gelegentlich vielleicht nur ein Rinnsal, über Nacht wird auch dieser über etliche Stunden sicher austrocknen, um in den Morgenstunden genauso sicher wieder anzuschwellen. Eine Runde dauert vier bis fünf Minuten, 20 Runden dauern eine bis anderthalb Stunden, je nachdem, wieviele Menschen gerade gehen, wie schnell sie gehen, ob sie aufgelockert oder in Gruppen gehen, ob Hindernisse auftauchen wie etwa am Boden ausgestreckte Menschen, die ihre prostrations (Niederwerfungen) machen oder Hunde, die mittendrinnen zusammengeringelt seelenruhig schlafen oder deren häufchenförmige Hinterlassenschaften … rundherum und rundherum und rundherum und immer das Gleiche wieder von vorne … Anfangs hat es mich nur an Rosenkranzbeten erinnert. Ich habe Rosenkranzbeten nie verstanden, immer gehasst, andere lieben es, es muss sein wie Mantraleiern, und die meisten der ernsthaften Stupa-Umrunder machen das alles auch gleichzeitig - den Stupa umrunden, Mantras und/oder immer die gleichen Gebetsformeln leiern und dabei die Perlen der rosenkranzähnlichen Ketten durch die Finger laufen lassen. Ich vertrage so etwas grundsätzlich nicht. Trotzdem habe ich mir angewöhnt, pro Tag (am liebsten in der Früh) eine bis anderthalb Stunden im Stück den Stupa zu umrunden, mitzulaufen, Teil dieses menschlichen, summenden Flusses zu werden, der den Stupa wie ein vierter Sockel umgibt, der sich bewegt wie sich die Gebetsfahnen bewegen und wie diese fest mit dem Stupa verbunden ist. Es ist nicht nur wie Rosenkranzbeten. Es hat etwas Meditatives, zeitweise (je nach Tagesverfassung) etwas Irrsinniges, irrwitzig Irrationales, etwas Zwischen/Mit-, aber genauso Unmenschliches und ich lerne viel - über mich selbst, wie ich meinen Weg gehe, wie andere ihren Weg gehen, wie wir unsere Wege besser aufeinander abstimmen könnten, würden wir einander 1) zur Kenntnis nehmen und 2) mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Gelegentlich schaffe ich es meine Gangart zu ändern, nicht ständig auf der Überholspur sein zu wollen, weil ich bei anderen “Schnellgehern” sehe, wie lächerlich sinnlos und auch wie unhöflich dieses sich so schnell wie möglich Durchschlängeln denen gegenüber ist, die nicht so schnell können oder die in ihre Andacht versunken sind. Ich werde ein kleines bisschen ruhiger, toleranter, ärgere mich aber trotzdem über die, die nicht links und rechts schauen und stolpere immer wieder über meine Ungeduld mit mir und anderen wie über die Scheiße der Stupa-Hunde, die jeden Stupa-Umrunder zu einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit zwingen, will er nicht ausrutschen und in der braunen stinkenden Soße landen … Und es ist ganz anders in der Früh, wenn nur die gehen, die es halbwegs ernst meinen, als später dann, wenn die “schnell ein paar Pflichtrunden Dreher” auftauchen, ungläubig bis entzückt schauende Touristen mit ihren Kameras herumhirschen und die Selfisucht ausbricht. In jedem Fall aber ist es ein unglaubliches Schauspiel, besser als jeder Film. PS: Die Stupa-Hunde gehören auch dazu. Sie sind ein nicht wegzudenkender Bestandteil dieses eindrucksvollen Mandala. Und wohl (oder übel …) auch der Dreck versprühende, von Security bewachte Taubenschwarm und die entsetzlich qualmenden Bottiche mit Räucherwerk, an denen man bei jeder Runde vorbei muss, was sich bei mir in der Früh regelmäßig auf den Magen schlägt. Das KOPAN Kloster liegt plusminus 3 km von Boudha entfernt auf einem Hügel. Es bietet - abgesehen von einem traumhaften Ausblick, vor allem in den frühen Morgenstunden und am Abend - ein umfangreiches Programm an Kursen und Unterricht für interessierte Besucher aus der ganzen Welt, u.a. im November einen einmonatigen Intensivkurs in tibetischem Buddhismus. Diesen Intensivkurs habe ich vor 10 Jahren besucht. Buddhismus war in meiner Vorstellung bis dahin eine mir sehr sympatische Religion ohne viele Regeln gewesen, in der der Einzelne seine Einzigartigkeit im Gegensatz zum Christentum einbringen darf. Wieviele Schulen es gibt, wusste ich nicht und auch nicht, dass der tibetische Buddhismus ein bis ins Kleinste durchstrukturierte System von Glaubenssätzen und Praktiken und Himmeln und Höllen und Fegefeuern und vorgegebenen Ritualen ist, in dem der Einzelne nichts mitzureden und mitzudenken sondern sich ganz und gar einzuordnen hat (sogar bei den Meditationen wird einem bis ins Detail vorgesagt, was man sich wann wie vorzustellen hat ….). Dementsprechend enttäuscht war ich dann auch. Trotzdem fand ich in Kopan, was ich suchte. Nicht in den Kursen, die ich bald nicht mehr besuchte, sondern in der Klosterbibliothek: ein Buch über ZEN-Buddhismus. Und wieder Zuhause fing ich an, ein- bis zweimal im Jahr eine Woche in einem Franziskanerkloster in der Nähe von München zu verbringen. Dort werden in einer traumhaften Umgebung von sehr engagierten Menschen ZEN - Kurse zu leistbaren Preisen angeboten. Fabelhaft! Und die Verpflegung … Fabelhaft! Und wenn ich diszipliniert genug wäre, könnte ich jeden Tag bei mir Zuhause 30 Minuten zazen und das würde mir auf die Dauer sicher sehr gut tun. Jetzt bin ich seit zwei Wochen in Boudha und besuche das Kloster hin und wieder. Sind nur 40 Minuten zu gehen. Und ich bekomme immer noch Antworten auf meine Fragen und die haben mit dem tibetischen Buddhismus nicht das Geringste zu tun. Als “Fremder” bzw. Nichtkursteilnehmer darf man nur 20 Minuten hinein. Ich setze mich in dem großen Gebetsraum bzw. der großen Versammlungshalle (Lhakang), in der vor 10 Jahren noch die Kurse stattgefunden haben (jetzt nicht mehr), hinten auf den Boden und bin in der Stille. Manchmal kommen Tränen. Und eine glasklare Antwort auf meine Frage. Ich mag diese großen Gebetsräume, auch Kirchen. Ich mag die Messen nicht, die Pujas und die Vorträge, aber ich mag diese Räume. SEHR. In diesen Räumen ist etwas, das in anderen Räumen nicht oder nur sehr selten ist. Ich kann es aber meistens nur spüren, wenn die Räume leer sind. Ohne Menschen. Ohne Getue. DANKE FÜR DEINE ANTWORT Bei uns in den reichen Industrieländern ist es blitzsauber, die Infrastruktur einwandfrei, die Hygienevorschriften, insbesondere in der Lebensmittelverarbeitung, in der Gastronomie und im Gesundheitsbereich enorm. Sogar der Hundedreck muss von der grünen Wiese entfernt und in einem rosaroten oder schwarzen (natürlich kompostierbaren) Plastiksackerl bei sonstiger Strafe in einer dafür vorgesehenen Mülltonne entsorgt werden. Den Müll und die Gifte, die wir produzieren, um zu leben wie wir leben - sauber, schön und wohlgenährt -, lagern wir aus in weit entfernte Entwicklungsländer. Dort spielen die Kinder nicht (nur) mit unserem Müll, sie klettern barfuß und ohne Schutzkleidung auf gigantische Müllberge, um noch Verwertbares oder Verkaufbares zu finden, zerlegen unsere weggeworfenen Handys, Elektrogeräte, hantieren mit und steigen in unseren giftigen Überresten herum, jeden Tag den ganzen Tag. Während wir mit unseren kleinen Lieblingen im Garten oder im Park sitzen und peinlich darauf achten, dass sie so wenig wie möglich mit irgendeiner Form von Dreck in Berührung kommen und wenn doch, werden sofort Hygienetücher ausgepackt und die schmutzigen Händchen abgewischt. Wir werden von früh bis spät auf Sauberkeit gedrillt, aber ausschließlich auf die äußere, auf Funktionsfähigkeit und Selbstsucht. Die Lippen und Wangen werden aufgespritzt, die Gelenke und Organe werden ausgetauscht, Zähne werden reguliert, Nasen korrigiert, Fett wird abgesaugt, Busen werden eingesetzt. Wenn die Gehirne noch entsprechend aufbereitet und ausgetauscht werden, sind wir am Ziel. Dann gibt es den einzelnen Menschen nicht mehr. Wir sitzen in unserem Wohlstand und warten. DARAUF? Egal, wo man sich wohin bewegt in Kathmandu, man bewegt sich im Staub. Die Straßen sind entweder gar nicht asphaltiert, oder nur stückweise, oder im Asphalt sind riesige Löcher, oft sind es auch nur schmale Schotterwege, sehr oft sind es jahrelange Baustellen, auf denen nichts gemacht wird (manche waren vor 10 Jahren auch schon da, wenn ich mich richtig erinnere), manchmal unvorstellbar, dass in diesen Gräben Autos fahren können, aber sie können … Und jede Menge Motorräder und Fußgänger … Ich habe hier ein echtes Problem. Ich brauche Bewegung. Ich bin eine Geherin. Und in dem Dreck und Staub weiß ich oft nicht wohin. Die Menschen, die hier wohnen, verbringen hier ihr Leben. Für sie ist das normal. In diesem Staub sitzen sie. Jeden Tag den ganzen Tag. Es gibt in Nepal keinen Ruhetag. Die Menschen versuchen von früh bis spät Geld zu verdienen, auch während der Festtage sitzen sie neben ihren Obstwagerln, vor oder in ihren (so gut wie immer offenen und damit durch und durch und über und über staubigen) Geschäften und kleinen Läden, Beisl’n und warten. Auf Kundschaft. Oder sie sitzen in ihren immer offenen winzigen Werkstätten und arbeiten. Gleichgut könnten sie auf der Straße arbeiten. Viele warten auf nichts. Sie sitzen einfach nur da. Das sind meist alte Menschen. Oder sie sitzen in Gruppen am Gehsteig mitten im Dreck und unterhalten sich, verbringen ihre Zeit im Staub. Die kleinen Kinder krabbeln im Dreck herum. Spielen mit dem Sand, den Steinen, dem Müll. Ich bin entsetzt. Wie können die Eltern das zulassen? Ich sehe oft zwei junge Frauen mit ihren Säuglingen am Gehsteig einer Straße sitzen, die so staubig ist, dass sie mehrmals täglich mit Wasser bespritzt wird und die Autos dann durch die Schlammpfützen fahren. Die Frauen mit ihren Kindern sitzen dort wie in Wien die Menschen auf einer Parkbank sitzen und essen und reden und handarbeiten. Für sie ist das normal. Ihr Zuhause. Und ich kann kaum atmen. Gehe meistens mit einer Maske. Zügig. Und bin unglaublich ÜBERHEBLICH …. Wo sollten die Menschen hier denn sitzen? In dieser Stadt gibt es keine Parks an jeder Ecke (und selbst wenn, wären sie auch verstaubt). Sie haben keine Gärten, Terrassen, Balkone in schön begrünte Innenhöfe. Ihre Werkstätten, Läden und Beisl’n haben keine Fenster. Sie haben nur das. Das Guesthouse, in dem ich in Boudha wohne, liegt in der Nähe eines Klosters und dieses Kloster liegt in der Nähe des Stupa und da der Stupa von Boudha der größte und einer der berühmtesten in Nepal ist, drängen sich hier das ganze Jahr über unzählige Gläubige und in Hauptsaison-Zeiten, wie jetzt im Oktober und November, Massen von zahlungskräftigen Touristen und zahlungswilligen Sinnsuchenden. Ein besseres Revier, mit seiner Hilfsbedürftigkeit Geld zu verdienen, gibt es nicht, vor allem wenn die Hilfsbedürftigkeit ins Auge sticht. Jedesmal, wenn ich Richtung Stupa gehe (und das tue ich täglich, da die Athmosphäre dort vor allem am Morgen, aber auch am frühen Abend angenehm und halbwegs staubfrei ist und ich mir angewöhnt habe, den Stupa einmal täglich 20 mal zu umrunden, das ist Spaziergang und Meditation zugleich), muss ich sowohl durch den Klosterbereich als auch durch die angrenzenden engen Gassen, die die Bettler offensichtlich als zeitlich und örtlich begrenzte Reviere untereinander aufgeteilt haben. Was ich hier bisher zu sehen bekommen habe, geht unter die Haut. Keine Beine, verkrümmte Beine, lahme Beine, fehlende Arme, Hände ohne Finger, entstellte Gesichter, verformte Köpfe, sehr viele Blinde, sonstwie verkrümmte Gestalten … Dazu kommen die geistig Behinderten, meist in Begleitung. Und dann sind da noch die Mütter mit ihren gesunden Babys oder körperlich oder geistig behinderten Kindern, die meistens im Rollstuhl sitzen. Die normalen Bettler - also ohne geistige oder körperliche Beeinträchtigungen - nehme ich mittlerweile gar nicht mehr wahr, ganz zu schweigen von den zwei bis drei jungen Alkohol- und/oder Drogensüchtigen, die sich vor der Klostermauer häuslich eingerichtet haben. Ich schaue nur mehr, ob noch alle Extremitäten dran sind und wenn nicht, ob noch genug dran ist, um damit noch etwas anfangen zu können … Es sind einfach zu viele hier. Und was das Ganze noch schwieriger und vollends unmenschlich macht: Vielen von ihnen kann man nicht helfen, selbst wenn man bereit wäre, viel Geld in die Hand zu nehmen, um beispielsweise die Situation der behinderten Kinder auf Dauer zu verbessern, weil kriminelle Banden dahinterstecken, die sie für sich arbeiten und niemals aus diesem “Geschäft” aussteigen lassen. Nur ein Beispiel: Seit ich hier unterwegs bin, sehe ich jeden Tag eine schon etwas ältere Frau mit einem schwerstbehinderten Mädchen im Rollstuhl (schaut nach zerebraler Lähmung aus), neben ihr meist einige junge Frauen mit Babys. Ich überlege tagelang hin und her, habe eine schlaflose Nacht, am nächsten Morgen spreche ich die Frau an, mit dem Vorsatz, ihr - sobald ich sie kennengelernt habe - meine dauerhafte Hilfe anzubieten. (Ich dachte an eine regelmäßige monatliche Geldüberweisung, damit die beiden nicht ständig ums Überleben kämpfen müssen.) Dabei stellt sich heraus, dass sie nicht allein hier ist mit dem behinderten Mädchen, dass sie Teil einer Gruppe aus Indien ist, dass sie und die jungen Frauen, die immer in ihrer Umgebung mit ihren Babys betteln, nur Hindi sprechen, niemand von ihnen Nepali versteht (was darauf schließen lässt, dass sie nicht dauernd hier leben, sondern zum Betteln herkommen) und natürlich auch kein Englisch. Als die jungen Frauen bemerken, dass ich der älteren Frau mit dem behinderten Mädchen helfen will, stürzen sie sich auf mich, wollen sofort wissen, wo ich wohne, wollen meinen Namen, meine Telefonnummer, damit mich jemand anrufen und mir Auskunft geben kann, der Englisch spricht … Da werde ich vorsichtig. Ich frage, ob ich ein Foto machen darf, gebe der älteren Frau 500 NR (das sind nicht einmal 5 €) und ziehe mich so schnell wie möglich zurück. “I’ll come back in a few days!” Ein sehr engagierter Nepalese, der in der Behindertenhilfe arbeitet und auch mit Bettlern zu tun hat (wenn sie behindert sind und beispielsweise einen Rollstuhl brauchen) bestätigt meine Vermutung. Er rät mir sogar eindringlich, mich nicht tiefer mit dieser Gruppe einzulassen, da ich dem Mädchen ohnehin nicht helfen könne und jeder nähere Kontakt auch für mich gefährlich werden könnte. Vielleicht mache ich einen Fehler, aber … Es gibt einen anderen Weg zum Stupa. Er ist staubig, viele Motorräder. Neben dem Rundweg um den Stupa von Boudha gibt es einen mit Seilen abgetrennten Bereich, der von mindestens zwei, meistens von drei Sicherheitskräften bewacht wird, darin Wassergefäße, unglaublich viel Futter und unglaublich viele Tauben. Gelegentlich werden sie von irgendetwas aufgeschreckt, dann erhebt sich der ganze Schwarm wie auf Kommando, Futter und Dreck und jede Menge Bazillen fliegen den Stupabesuchern um die Ohren und ins Gesicht, und lässt sich auf der großen weißen Kuppel des Stupa nieder wie dunkler Streussel auf einem Berg Schlagobers. Aber es dauert nicht lange und die Riesenschar kehrt an den sicheren Futternapf und zu ihren bewachten Trink- und Badegewässern (mit Wasser gefüllte Stein- und Plastikwannen) zurück. Ich wollte es nicht glauben und fragte einen der Männer mit Security-Weste, was sie denn hier bewachen. Doch nicht etwa die Tauben? Doch. Natürlich die Tauben. Hin und wieder versuche nämlich jemand, sie zu verscheuchen oder sogar eine von ihnen zu töten! Oder diejenigen, die sie füttern, daran zu hindern … Und das sind viele, auch viele Mönche. Körner und sonstiges Futter stehen in großen Säcken bereit zum Verkauf. An Samstagen (wie bei uns Sonntag) und Feiertagen, wenn besonders viele Gläubige den Stupa umrunden, sitzen bis zu sechs Frauen mit Unmengen, in Schüsselchen bereits portioniertem, Futter am Rand des Taubenparadieses und warten auf Abnehmer. Die Tiere zu füttern und zu schützen scheint eine religiöse Pflicht. Security für Waisenkinder. Wie wär’s damit? Für hilfsbedürftige Menschen. Sie zu schützen ist keine religiöse Pflicht? Eine kleine Gompa am Rand des Waldes. Irgendwie auch am Rand des Dornröschenschlafs. Auch die Baustelle unmittelbar vor dem Gebetsraum wirkt eingeschlafen. Verstaubt. Blumen wuchern, alles wuchert. Wunderbar verwildert. Sonne scheint. Ich verschwitzt. Auf der Stiege vor der Gompa ein Mönch. Wie der Wächter des Schatzes im Silbersee. Und wie dieser hat er den Neuankömmling längst entdeckt. “May I come in?” Erfreut über den unerwarteten Besuch springt er auf, lacht mich an. “Of course. Come in!” Im Nu entledigt er sich der obligaten Gummischlapfen, die hier so gut wie jeder trägt (und zwar zu jedem Anlass - egal, ob Arbeiter auf einer Baustelle, alte Tibeterinnen in ihrer Tracht, junge Schönheiten in feiertäglichen Glitzergewändern, Mönche … - die nackten Füße stecken in Gummischlapfen oder in Turnschuhen, Sandalen sieht man bei den Touristen, normale Schuhe trägt hier so gut wie keiner und wenn doch, stechen sie ins Auge wie neonfarbene Blinklichter) und verschwindet mit einer einladenden Handbewegung ins Innere des Gebetsraumes. Ich ziehe meine Turnschuhe aus und folge dem liebenswerten dünnen Mann dankbar in den Schatten des Innenraums. Mein erster Eindruck vom Dornröschenschlaf scheint nicht ganz falsch. Was ich hier sehe, ist nicht nur ein Gebets- sondern auch ein Wohn- und Schlafraum. Mindestens zwei Betten, eine Bank, Säcke, Gewand … Der Mönch führt mich sofort nach vorne, zur Buddhastatue und den Bildern, sonstigen Statuen, Lichtern, Gefäßen (bei uns würde man Altar sagen), gibt mir bereitwillig auf alle meine Fragen Antworten, beginnt dann etwas zu beten. Für mich sei das gewesen, erklärt er mir nachher, er habe jetzt für mein Glück gebetet und wenn ich wolle, könne ich jetzt etwas spenden. Er macht dabei einen so ernsthaften und liebenswerten Eindruck, dass ich mich über seine Frage nach einer Spende (auf die ich mittlerweile zunehmend allergisch reagiere) gar nicht ärgere. Dabei zeigt er auf das Gefäß, das in jedem Gebetsraum zu finden ist und in dem immer Geldscheine stecken, längs gefaltet, wie Blumenblätter, im konkreten Fall nicht allzuviele und zum Teil schon reichlich vergilbt, wie mir scheint. Übermäßig viele Besucher dürften nicht in diese Gompa kommen. Allerdings liegen auch Mandarinen und Bananen daneben. Ob er die hingelegt hat? Auch Kekse. Von denen will er mir gleich eine Packung in die Hand drücken … Dann erzählt er von der neuen Gompa, die er mit dem Geld errichten will, gleich hier vor der Tür. Er zeigt auf das seltsame Baugerüst. Da regt sich etwas im hinteren Teil des Raumes. Erst jetzt bemerke ich, dass in einem der Betten jemand liegt. Eine alte Frau. “That’s my sister. She is old and very sick.” Die alte Frau liegt unter fast ebenso alten Decken, still und ergeben in ihr Schicksal. “Does she need medicine?” “Yes, but we don’t have any money.” Ich gebe ihm Geld. “This money is for your sister, not for Buddha. Buddha doesn’t need any money.” Er lacht mich an, freut sich sichtlich, geht mit dem Geld zum Bett seiner Schwester, redet mit ihr. Für mich ist es Zeit zu gehen. Ich verabschiede mich von den beiden und wünsche der alten Frau alles Gute. Wo das Geld wohl landen wird? Bei einem Arzt oder Apotheker oder doch in diesem suspekten Gefäß? Und wenn es in diesem suspekten Gefäß landen sollte, um dort zu verstauben und zu vergilben - wird dies auf Geheiß des lieben Mönchs oder auf Wunsch seiner kranken Schwester geschehen? Die Mandalas vor den Häusern verschwunden, weggefegt von der Begeisterung der letzten Tage. Die Bettler zum großen Teil auch. Sogar die Dauergäste vor dem nahegelegenen Kloster fehlen. Musikgruppen mit disabled people selten. Die Live-Musik irgendwo in der Nähe meines guesthouses, die mich gestern so furchtbar genervt hat, kommt bis jetzt ohne Entertainer aus. Die Lieder und die Lautstärke gedämpfter. Die Gesichter heute auch. Viele müde. Die Straßen untertags überraschend leer, sehr viele Geschäfte und Lokale, anders als in den letzten Tagen, geschlossen. Berge von Müll. Auch die Hunde sind heute müde, vielen baumeln die vertrockneten Blumengirlanden noch um den Hals. Bis morgen müssen sie noch durchhalten. Dann sind sie wieder die Herren der Nacht. Die nächsten Feste wann? Jänner, Feber, April, … immer nur einzelne Tage. Richtig gefeiert kann erst wieder im Oktober werden. 21 Uhr. Die Musik rundherum und das Gejohle werden rapide lauter. Wie in den letzten Tagen. Es brodelt noch einmal richtig in Kathmandu wie in einem Kochtopf. Der Alltag morgen kommt früh genug. Rundherum wird gefeiert, gesungen, getanzt. Musikgruppen gehen von Haus zu Haus, vor vielen Türen stehen Verwandte, Bekannte oder Kinder und singen, bis die Hausfrau mit etwas Kuchenähnlichem, das aber kein Kuchen ist, und Kerzen herauskommt und die Singenden bewirtet. Ein Lastwagen mit tanzenden jungen Mädchen auf der Ladefläche fährt vorbei. Familien in wunderschönen Trachten. Kleine Mädchen wie Feen angezogen (kein Schmäh). Flügel mit Lichtern am Rücken befestigt. Früher oder später kommt sie und legt in diesem bunten Durcheinander liebevoll den Arm um mich. Das ist bei Festen wie diesen wie das Amen nach dem Gebet. Seit heute Früh weicht sie nicht von meiner Seite. Die Einsamkeit. Wie füllen wir beide den heutigen Abend? Hast du vielleicht die Fähigkeit, diese grauenhafte Dauerbeschallung abzustellen? Damit würdest du mir einen riesengroßen Gefallen tun. Irgendwo muss hier eine Live-Bühne sein. Irgendwo in diesen engen, staubigen, unendlich armseligen Gassen, vielleicht auch irgendwo in einem vermüllten Hinterhof muss Platz für Live-Musik, einen Entertainer und johlendes Publikum sein. Die Begeisterung und Ausdauer sind bewundernswert. Trotzdem. Schieß sie bitte auf den Mond. Oder bring sie sonst irgendwie zum Schweigen. Bitte! Wunderschön sind sie. Es gibt in dieser Tanzgruppe Frauen, die im Rollstuhl sitzen und tanzen und Frauen ohne Rollstuhl, die tanzen. Alle in leuchtenden Gewändern, “Goldschmuck” im Haar, strahlenden Gesichtern, von der Begeisterung der umstehenden Zuschauer zu Höchstleistungen angespornt. Und das seit vielen, vielen Stunden. Die Männer dieser Disabled Tanzgruppe in ihren Rollstühlen bilden einen Halbkreis um ihre Schönheiten und lassen sie arbeiten bzw. Geld verdienen. Sie sind die Hauptattraktion am Stupaplatz in Boudha heute. Aber bei weitem nicht die Einzigen, die etwas von der Großzügigkeit und Spendenfreude der Feiernden, Touristen, Sinnsuchenden und Gläubigen während des Lichterfestes abbekommen und mitfeiern wollen. Waren es zumittag zwei Gruppen Blinde mit Musik, zwei einzelne Blinde mit Musik, eine singende und musizierende Rollstuhlgruppe und zwei Tanzgruppen mit Behinderten, waren es fünf Stunden später unzählige, Blinde, Behinderte jeder nur denkbaren Art, unglaublich verformte Körper, Mütter mit kranken Kindern, Alte … Nahezu ohne Abstand zueinander standen, saßen, spielten, tanzten sie fast wie ein Bollwerk um den Stupa herum. Und die Menschen geben. In diesen Tagen des Lichterfestes geben sie. In diesen Tagen sind die Brieftaschen und Herzen einen Spalt breit offen und alle feiern mit allen. Nur einige ergreifen die Flucht vor dieser schieren Masse und Lautstärke. Wie ich. Und andere gehen in ihr und der allgemeinen Begeisterung unter. Wie die Hilfesuchenden, die in keinen Lautsprecher brüllen, die nichts anzubieten haben, die nur am Boden sitzen und die Vorbeigehenden bittend anschauen. Jetzt ist es 22:00 und die Musik und das Tohuwabohu rundherum werden immer noch lauter. An Schlaf ist noch Stunden nicht zu denken. Aber ich hab ein warmes Bett. Mein Tablet. Ein Buch. Und irgendwann ganz wichtig: Ohropax Lautsprecher, Musik, Gekreische. Höchste Zeit, mich ins gemütliche Bett zurückzuziehen und mit Obst und köstlich scharfen Masala-Chips vollzustopfen. Der zweite Tag des Lichterfestes. Tihar. Wie laut wird es am fünften (und letzten) sein??? Der frühe Abend war fein. Die Mandalas auf den Straßen vor den Hauseingängen waren so gut wie fertig, die Kerzen wurden angezündet. Wunderschön. Grund für das alles: Mit Mandalas und Teelichtern soll die Göttin des Reichtums und des Glücks in die Häuser gelockt werden. Jetzt aber ist es richtig laut. Die Nepalesen feiern, was das Zeug hält. Die Straßenhunde wundern sich heute sicher über nichts mehr. Zuerst wurden ihnen - als Torwächter Yamrajs, des Totengottes, der auch mit dem Lichterfest in Verbindung steht - Blumengirlanden umgehängt, sie wurden mit roter Farbe beschmiert und es wurde ihnen ein spezielles Fressen zubereitet. Und jetzt müssen sie sich vor den Feuerwerkskörpern und johlenden Menschen in Sicherheit bringen. Morgen sind die Kühe dran … als Symbol für Lakhsmi, die Glücksgöttin, und als Seelenführer in Yamrajs Unterwelt … Man könnte jetzt meinen, das sei ein lupenreines Hindufest. Ist es aber nicht. Bei den buddhistischen Pujas wird heute und in den nächsten Tagen richtig Geld gescheffelt. Die Gläubigen stehen Schlange vor dem Kabäuschen in/neben dem großen Stupa, um Geld und alles Mögliche für ihr Seelenheil und Glück dort abzugeben … Sogar Geldwechsler sitzen auf der Straße, vor sich ein Stockerl, darauf jede Menge Geldstapel. Ich stand eine Weile und schaute dem Tauschhandel zu. Was soll das? Der eine gibt nepalesische Rupien hin, der andere gibt nepalesische Rupien zurück ????? Schließlich wurde ich aufgeklärt, dass hier gebrauchte Scheine gegen neue eingetauscht werden. Der Wechsler verlangt natürlich etwas dafür, aber die Nepalesen sind gern bereit, für neue Scheine zu bezahlen, die sie anschließend bei den Mönchen abladen oder ihren Liebsten schenken. SEHR seltsames Volk. Eine junge, trotz Verbrennungen im Gesicht sehr hübsche Frau. Ein Arm fehlt ihr. Ihr erging es wie vielen Kindern in Nepal im Alter von etwa 6 Monaten. Ihre Eltern ließen sie in der warmen Küche schlafen, während sie zur Arbeit gingen. Und als sie aufwachte, krabbelte sie auf die Feuerstelle zu … Weglaufen konnte sie dann nicht… Offenbar kam sie auf die linke Körperhälfte zu liegen. Nach einer Infektion musste ihr später der linke Arm abgenommen werden. Jetzt ist sie eine unglaublich starke Frau und die Präsidentin der “Burn Survivor Disabled Society Nepal”. 60.000 Unfälle mit Verbrennungen würden in Nepal jährlich passieren, die meisten Opfer Frauen (beim Kochen oder absichtlich herbeigeführte Verbrennungen durch erzürnte Schwiegersöhne wegen zu geringer Mitgift, Ehemänner oder enttäuschte Liebhaber) und Kinder im Alter von etwa 6 Monaten (in diesem Alter können sie schon zur Feuerstelle oder zum Herd hinkrabbeln, aber noch nicht wegrennen). Sie schildert die vielen Probleme der Betroffenen, vor allem der Frauen. Sie seien nicht nur mehr oder weniger entstellt und hätten dauerhafte körperliche Beschwerden, sie würden von der Gesellschaft auch systematisch ausgegrenzt. Ihre Familien würden sie oft ablehnen, sie würden keine Arbeit finden, keine Wohnung, keine Freunde. Viele würden in ihrem Leben keinen Sinn mehr sehen und sich umbringen. Daher müsse nicht nur den Frauen geholfen werden (durch Therapieangebote, medizinische Hilfe, Übergangswohn- und Arbeitsmöglichkeiten), es müsse auch massiv Aufklärungsarbeit in der Gesellschaft betrieben werden, da jede Form der Behinderung vor allem im ländlichen Bereich von Nepal immer noch als irgendeine Form der gerechten Strafe für irgendeine Verfehlung angesehen wird. Irgendwann im Laufe des Gespräches taucht in meinem Gehirn ein Gedanke auf: Die Waisenkinder, die zur Zeit ganz jämmerlich mit Blinden, Alten, psychisch Kranken in diesem “Blind Center” untergebracht sind, und diese “verbrannten Frauen”, die ihr früheres Leben verloren haben und jetzt zwischen allen Stühlen hängen … Wenn man diese zwei Gruppen zusammenführen würde - Könnte das eine win-win-Situation sein? |
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