Was ich aus Nepal mitnehme,

wenn ich morgen nach Hause fliege:

  • mindestens drei Antworten
  • eine Liste mit den Namen von 13 Kindern (Artikel vom 8. und 24.11.23)
  • den Kontakt zu zwei wertvollen Menschen - Sita und Chhultim
  • das Wissen, dass ich nächstes Jahr wiederkomme, weil es viel zu tun gibt

Vielleicht gibt es bis dahin schon ein Projekt von Sita, in dem “Burnt Women & Orphans” gleichermaßen Platz haben (Artikel vom 11.11.23).

Let’s see. Maybe …

Und einen Riesenbauch muss ich morgen auch mit nach Hause schleppen, weil ich SO viele SO gute Momos und Thukpas und andere Köstlichkeiten gefuttert habe … Hoffentlich lässt man ihn am Flughafen als Handgepäck durchgehen.

Noch einmal im “Blind Center” (Artikel vom 8.11.23)

Die 20 Kinder (13 von ihnen ohne Eltern, weil sie entweder tot sind oder die Kinder verlassen haben oder weil sie zu arm sind, um sie zu ernähren) bekommen ein Minimum an Betreuung, Sauberkeit und Platz.

1) Die Kühe und Hühner werden aus dem Wohnbereich verbannt (eigentlich unglaublich im 21. Jahrhundert …)

2) Zwei Frauen werden eingestellt, die sich um die Kinder kümmern, ihnen bei den Hausaufgaben helfen und - auch ganz wichtig - putzen und die Wäsche für die Kinder machen (Kostenpunkt 300 € pro Monat - für beide! Auch unglaublich …)

3) Dort, wo Kühe und Hühner Platz machen, kommen ein bis zwei Toiletten hin, ein Duschraum und ein Wäscheraum mit Waschmaschine.

4) Der sogenannte Gebetsraum wird unter der Woche zu einem Raum für die Kinder zum Hausaufgabenmachen umfunktioniert - sprich Tische und Stühle werden aufgestellt und eine brauchbare Beleuchtung installiert.

5) Pramit, das jüngste Waisenkind (Seine Mutter hat ihn nach dem Tod seines Vaters im Alter von zwei Jahren allein zurückgelassen, jemand hat ihn ins Blind Center gebracht, mittlerweile ist er 4 Jahre alt), wird ab Beginn des nächsten Schuljahres einen privaten Kindergarten oder eine Privatschule besuchen. Er soll (wenigstens) eine gute Ausbildung erhalten.

Das ist ein ANFANG. Und nur als Übergangslösung gedacht.

Fortsetzung folgt - hoffentlich im Lauf des nächsten Jahres.

Der große STUPA von Boudha

Ein Stupa ist ein großes, kuppelförmiges buddhistisches Heiligtum und der Stupa von Boudha ist einer der größten weltweit.

Seine riesige, weiße Kuppel steht auf drei zwanzigeckigen Stufensockeln, die dem Bauwerk etwas Sternförmiges, Mandalaartiges geben. Auf der Kuppel sitzt der goldfarbene (oder goldene?) Turm, auf dessen vier Seiten die Augen des Buddha aufgemalt sind. Über den Augen, quasi über der Stirn des Buddha, sind verschiedenfärbige Stoffbahnen so lose angebracht, dass sie sich im Wind ständig bewegen wie Rüschen. Darüber verjüngt sich der Turm zu einer Spitze, die von einer Art Mütze oder Schirm überdacht wird, die/der wieder mit wehenden Stoffbahnen umrandet ist und von der/dem aus sich die endgültige Spitze erhebt. (Ach wie einfach wäre es, könnte ich Fotos hochladen …) Von diesem Turm aus sind unzählige Gebetsfahnen auf die vielen Ecken der Stufensockel heruntergespannt, deren buntes Flattern dem tonnenschweren Bauwerk etwas Leichtes, ausgesprochen Freundliches gibt, ich würde sogar sagen, eine gewisse Schwerelosigkeit. In der Ringmauer, die den Stupa nach außen hin abschließt, sind viele Gebetsmühlen eingelassen, die von den Gläubigen beim Umrunden des Stupa gedreht werden oder auch nicht und die - zumindest derzeit - den ganzen Tag über von einem ununterbrochen vor sich hinredenden oder -singenden, gelegentlich auch fürchterlich schimpfenden jungen Mönch geputzt werden. Neben Nieschen mit Buddhafiguren gibt es in der Ringmauer auch einen kleinen Raum, in dem die Pujas stattfinden, die Gläubigen ihr Geld, Lebensmittel, und was weiß ich, was sonst noch abliefern und sich die heißersehnten blessings holen. Außerdem gibt es diverse Schreine, Statuen, zwei wunderschöne Elefanten u.u.u.

Vielleicht ist es die schiere Größe dieses weißen Kolosses mit dem goldenen Turm, oder sind es die Augen, die überall und immer da sind, vielleicht ist es beides oder etwas ganz anderes, das dem Stupa etwas Mächtiges gibt, das durch die sich ständig im Wind bewegenden Gebetsfahnen und Stoffrüschen unglaublich präsent und lebendig ist.

Und diese Lebendigkeit und Beweglichkeit scheint sich in den Gläubigen fortzusetzen, die den Stupa im Uhrzeigersinn umrunden und zwar so gut wie immer. Egal, ob ich in der Früh, untertags oder am Abend hinkomme, es bewegt sich konstant ein Strom von Menschen rund um diesen Stupa, manchmal ist es ein reißender Fluss (wie etwa am Abend nach dem Erdbeben vor zwei Wochen), meistens ein blätschernder Bach, gelegentlich vielleicht nur ein Rinnsal, über Nacht wird auch dieser über etliche Stunden sicher austrocknen, um in den Morgenstunden genauso sicher wieder anzuschwellen.

Eine Runde dauert vier bis fünf Minuten, 20 Runden dauern eine bis anderthalb Stunden, je nachdem, wieviele Menschen gerade gehen, wie schnell sie gehen, ob sie aufgelockert oder in Gruppen gehen, ob Hindernisse auftauchen wie etwa am Boden ausgestreckte Menschen, die ihre prostrations (Niederwerfungen) machen oder Hunde, die mittendrinnen zusammengeringelt seelenruhig schlafen oder deren häufchenförmige Hinterlassenschaften …  rundherum und rundherum und rundherum und immer das Gleiche wieder von vorne …

Anfangs hat es mich nur an Rosenkranzbeten erinnert. Ich habe Rosenkranzbeten nie verstanden, immer gehasst, andere lieben es, es muss sein wie Mantraleiern, und die meisten der ernsthaften Stupa-Umrunder machen das alles auch gleichzeitig - den Stupa umrunden, Mantras und/oder immer die gleichen Gebetsformeln leiern und dabei die Perlen der rosenkranzähnlichen Ketten durch die Finger laufen lassen. Ich vertrage so etwas grundsätzlich nicht. Trotzdem habe ich mir angewöhnt, pro Tag (am liebsten in der Früh) eine bis anderthalb Stunden im Stück den Stupa zu umrunden, mitzulaufen, Teil dieses menschlichen, summenden Flusses zu werden, der den Stupa wie ein vierter Sockel umgibt, der sich bewegt wie sich die Gebetsfahnen bewegen und wie diese fest mit dem Stupa verbunden ist.

Es ist nicht nur wie Rosenkranzbeten. Es hat etwas Meditatives, zeitweise (je nach Tagesverfassung) etwas Irrsinniges, irrwitzig Irrationales, etwas Zwischen/Mit-, aber genauso Unmenschliches und ich lerne viel - über mich selbst, wie ich meinen Weg gehe, wie andere ihren Weg gehen, wie wir unsere Wege besser aufeinander abstimmen könnten, würden wir einander 1) zur Kenntnis nehmen und 2) mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Gelegentlich schaffe ich es meine Gangart zu ändern, nicht ständig auf der Überholspur sein zu wollen, weil ich bei anderen “Schnellgehern” sehe, wie lächerlich sinnlos und auch wie unhöflich dieses sich so schnell wie möglich Durchschlängeln denen gegenüber ist, die nicht so schnell können oder die in ihre Andacht versunken sind. Ich werde ein kleines bisschen ruhiger, toleranter, ärgere mich aber trotzdem über die, die nicht links und rechts schauen und stolpere immer wieder über meine Ungeduld mit mir und anderen wie über die Scheiße der Stupa-Hunde, die jeden Stupa-Umrunder zu einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit zwingen, will er nicht ausrutschen und in der braunen stinkenden Soße landen …

Und es ist ganz anders in der Früh, wenn nur die gehen, die es halbwegs ernst meinen, als später dann, wenn die “schnell ein paar Pflichtrunden Dreher” auftauchen, ungläubig bis entzückt schauende Touristen mit ihren Kameras herumhirschen und die Selfisucht ausbricht. In jedem Fall aber ist es ein unglaubliches Schauspiel, besser als jeder Film.

PS: Die Stupa-Hunde gehören auch dazu. Sie sind ein nicht wegzudenkender Bestandteil dieses eindrucksvollen Mandala. Und wohl (oder übel …) auch der Dreck versprühende, von Security bewachte Taubenschwarm und die entsetzlich qualmenden Bottiche mit Räucherwerk, an denen man bei jeder Runde vorbei muss, was sich bei mir in der Früh regelmäßig auf den Magen schlägt.

KOPAN Monastery

Das KOPAN Kloster liegt plusminus 3 km von Boudha entfernt auf einem Hügel. Es bietet - abgesehen von einem traumhaften Ausblick, vor allem in den frühen Morgenstunden und am Abend - ein umfangreiches Programm an Kursen und Unterricht für interessierte Besucher aus der ganzen Welt, u.a. im November einen einmonatigen Intensivkurs in tibetischem Buddhismus.

Diesen Intensivkurs habe ich vor 10 Jahren besucht. Buddhismus war in meiner Vorstellung bis dahin eine mir sehr sympatische Religion ohne viele Regeln gewesen, in der der Einzelne seine Einzigartigkeit im Gegensatz zum Christentum einbringen darf. Wieviele Schulen es gibt, wusste ich nicht und auch nicht, dass der tibetische Buddhismus ein bis ins Kleinste durchstrukturierte System von Glaubenssätzen und Praktiken und Himmeln und Höllen und Fegefeuern und vorgegebenen Ritualen ist, in dem der Einzelne nichts mitzureden und mitzudenken sondern sich ganz und gar einzuordnen hat (sogar bei den Meditationen wird einem bis ins Detail vorgesagt, was man sich wann wie vorzustellen hat ….). Dementsprechend enttäuscht war ich dann auch.

Trotzdem fand ich in Kopan, was ich suchte. Nicht in den Kursen, die ich bald nicht mehr besuchte, sondern in der Klosterbibliothek: ein Buch über ZEN-Buddhismus. Und wieder Zuhause fing ich an, ein- bis zweimal im Jahr eine Woche in einem Franziskanerkloster in der Nähe von München zu verbringen. Dort werden in einer traumhaften Umgebung von sehr engagierten Menschen ZEN - Kurse zu leistbaren Preisen angeboten. Fabelhaft! Und die Verpflegung … Fabelhaft! Und wenn ich diszipliniert genug wäre, könnte ich jeden Tag bei mir Zuhause 30 Minuten zazen und das würde mir auf die Dauer sicher sehr gut tun.

Jetzt bin ich seit zwei Wochen in Boudha und besuche das Kloster hin und wieder. Sind nur 40 Minuten zu gehen. Und ich bekomme immer noch Antworten auf meine Fragen und die haben mit dem tibetischen Buddhismus nicht das Geringste zu tun.

Als “Fremder” bzw. Nichtkursteilnehmer darf man nur 20 Minuten hinein. Ich setze mich in dem großen Gebetsraum bzw. der großen Versammlungshalle (Lhakang), in der vor 10 Jahren noch die Kurse stattgefunden haben (jetzt nicht mehr), hinten auf den Boden und bin in der Stille. Manchmal kommen Tränen. Und eine glasklare Antwort auf meine Frage.

Ich mag diese großen Gebetsräume, auch Kirchen. Ich mag die Messen nicht, die Pujas und die Vorträge, aber ich mag diese Räume. SEHR. In diesen Räumen ist etwas, das in anderen Räumen nicht oder nur sehr selten ist. Ich kann es aber meistens nur spüren, wenn die Räume leer sind. Ohne Menschen. Ohne Getue.

DANKE FÜR DEINE ANTWORT

Wir sitzen im Wohlstand und warten

Bei uns in den reichen Industrieländern ist es blitzsauber, die Infrastruktur einwandfrei, die Hygienevorschriften, insbesondere in der Lebensmittelverarbeitung, in der Gastronomie und im Gesundheitsbereich enorm. Sogar der Hundedreck muss von der grünen Wiese entfernt und in einem rosaroten oder schwarzen (natürlich kompostierbaren) Plastiksackerl bei sonstiger Strafe in einer dafür vorgesehenen Mülltonne entsorgt werden.

Den Müll und die Gifte, die wir produzieren, um zu leben wie wir leben - sauber, schön und wohlgenährt -, lagern wir aus in weit entfernte Entwicklungsländer. Dort spielen die Kinder nicht (nur) mit unserem Müll, sie klettern barfuß und ohne Schutzkleidung auf gigantische Müllberge, um noch Verwertbares oder Verkaufbares zu finden, zerlegen unsere weggeworfenen Handys, Elektrogeräte, hantieren mit und steigen in unseren giftigen Überresten herum, jeden Tag den ganzen Tag. Während wir mit unseren kleinen Lieblingen im Garten oder im Park sitzen und peinlich darauf achten, dass sie so wenig wie möglich mit irgendeiner Form von Dreck in Berührung kommen und wenn doch, werden sofort Hygienetücher ausgepackt und die schmutzigen Händchen abgewischt.

Wir werden von früh bis spät auf Sauberkeit gedrillt, aber ausschließlich auf die äußere, auf Funktionsfähigkeit und Selbstsucht. Die Lippen und Wangen werden aufgespritzt, die Gelenke und Organe werden ausgetauscht, Zähne werden reguliert, Nasen korrigiert, Fett wird abgesaugt, Busen werden eingesetzt. Wenn die Gehirne noch entsprechend aufbereitet und ausgetauscht werden, sind wir am Ziel. Dann gibt es den einzelnen Menschen nicht mehr.

Wir sitzen in unserem Wohlstand und warten. DARAUF?

Sie sitzen im Staub und warten

Egal, wo man sich wohin bewegt in Kathmandu, man bewegt sich im Staub. Die Straßen sind entweder gar nicht asphaltiert, oder nur stückweise, oder im Asphalt sind riesige Löcher, oft sind es auch nur schmale Schotterwege, sehr oft sind es jahrelange Baustellen, auf denen nichts gemacht wird (manche waren vor 10 Jahren auch schon da, wenn ich mich richtig erinnere), manchmal unvorstellbar, dass in diesen Gräben Autos fahren können, aber sie können … Und jede Menge Motorräder und Fußgänger …

Ich habe hier ein echtes Problem. Ich brauche Bewegung. Ich bin eine Geherin. Und in dem Dreck und Staub weiß ich oft nicht wohin. Die Menschen, die hier wohnen, verbringen hier ihr Leben. Für sie ist das normal.

In diesem Staub sitzen sie. Jeden Tag den ganzen Tag. Es gibt in Nepal keinen Ruhetag. Die Menschen versuchen von früh bis spät Geld zu verdienen, auch während der Festtage sitzen sie neben ihren Obstwagerln, vor oder in ihren (so gut wie immer offenen und damit durch und durch und über und über staubigen) Geschäften und kleinen Läden, Beisl’n und warten. Auf Kundschaft. Oder sie sitzen in ihren immer offenen winzigen Werkstätten und arbeiten. Gleichgut könnten sie auf der Straße arbeiten.

Viele warten auf nichts. Sie sitzen einfach nur da. Das sind meist alte Menschen. Oder sie sitzen in Gruppen am Gehsteig mitten im Dreck und unterhalten sich, verbringen ihre Zeit im Staub. Die kleinen Kinder krabbeln im Dreck herum. Spielen mit dem Sand, den Steinen, dem Müll. Ich bin entsetzt. Wie können die Eltern das zulassen?

Ich sehe oft zwei junge Frauen mit ihren Säuglingen am Gehsteig einer Straße sitzen, die so staubig ist, dass sie mehrmals täglich mit Wasser bespritzt wird und die Autos dann durch die Schlammpfützen fahren. Die Frauen mit ihren Kindern sitzen dort wie in Wien die Menschen auf einer Parkbank sitzen und essen und reden und handarbeiten. Für sie ist das normal. Ihr Zuhause.

Und ich kann kaum atmen. Gehe meistens mit einer Maske. Zügig.

Und bin unglaublich ÜBERHEBLICH ….

Wo sollten die Menschen hier denn sitzen? In dieser Stadt gibt es keine Parks an jeder Ecke (und selbst wenn, wären sie auch verstaubt). Sie haben keine Gärten, Terrassen, Balkone in schön begrünte Innenhöfe. Ihre Werkstätten, Läden und Beisl’n haben keine Fenster. Sie haben nur das.

Mein täglicher Spießrutenlauf durch die Bettler

Das Guesthouse, in dem ich in Boudha wohne, liegt in der Nähe eines Klosters und dieses Kloster liegt in der Nähe des Stupa und da der Stupa von Boudha der größte und einer der berühmtesten in Nepal ist, drängen sich hier das ganze Jahr über unzählige Gläubige und in Hauptsaison-Zeiten, wie jetzt im Oktober und November, Massen von zahlungskräftigen Touristen und zahlungswilligen Sinnsuchenden. Ein besseres Revier, mit seiner Hilfsbedürftigkeit Geld zu verdienen, gibt es nicht, vor allem wenn die Hilfsbedürftigkeit ins Auge sticht.

Jedesmal, wenn ich Richtung Stupa gehe (und das tue ich täglich, da die Athmosphäre dort vor allem am Morgen, aber auch am frühen Abend angenehm und halbwegs staubfrei ist und ich mir angewöhnt habe, den Stupa einmal täglich 20 mal zu umrunden, das ist Spaziergang und Meditation zugleich), muss ich sowohl durch den Klosterbereich als auch durch die angrenzenden engen Gassen, die die Bettler offensichtlich als zeitlich und örtlich begrenzte Reviere untereinander aufgeteilt haben.

Was ich hier bisher zu sehen bekommen habe, geht unter die Haut. Keine Beine, verkrümmte Beine, lahme Beine, fehlende Arme, Hände ohne Finger, entstellte Gesichter, verformte Köpfe, sehr viele Blinde, sonstwie verkrümmte Gestalten … Dazu kommen die geistig Behinderten, meist in Begleitung. Und dann sind da noch die Mütter mit ihren gesunden Babys oder körperlich oder geistig behinderten Kindern, die meistens im Rollstuhl sitzen.

Die normalen Bettler - also ohne geistige oder körperliche Beeinträchtigungen - nehme ich mittlerweile gar nicht mehr wahr, ganz zu schweigen von den zwei bis drei jungen Alkohol- und/oder Drogensüchtigen, die sich vor der Klostermauer häuslich eingerichtet haben. Ich schaue nur mehr, ob noch alle Extremitäten dran sind und wenn nicht, ob noch genug dran ist, um damit noch etwas anfangen zu können … Es sind einfach zu viele hier.

Und was das Ganze noch schwieriger und vollends unmenschlich macht: Vielen von ihnen kann man nicht helfen, selbst wenn man bereit wäre, viel Geld in die Hand zu nehmen, um beispielsweise die Situation der behinderten Kinder auf Dauer zu verbessern, weil kriminelle Banden dahinterstecken, die sie für sich arbeiten und niemals aus diesem “Geschäft” aussteigen lassen.

Nur ein Beispiel: Seit ich hier unterwegs bin, sehe ich jeden Tag eine schon etwas ältere Frau mit einem schwerstbehinderten Mädchen im Rollstuhl (schaut nach zerebraler Lähmung aus), neben ihr meist einige junge Frauen mit Babys. Ich überlege tagelang hin und her, habe eine schlaflose Nacht, am nächsten Morgen spreche ich die Frau an, mit dem Vorsatz, ihr - sobald ich sie kennengelernt habe - meine dauerhafte Hilfe anzubieten. (Ich dachte an eine regelmäßige monatliche Geldüberweisung, damit die beiden nicht ständig ums Überleben kämpfen müssen.) Dabei stellt sich heraus, dass sie nicht allein hier ist mit dem behinderten Mädchen, dass sie Teil einer Gruppe aus Indien ist, dass sie und die jungen Frauen, die immer in ihrer Umgebung mit ihren Babys betteln, nur Hindi sprechen, niemand von ihnen Nepali versteht (was darauf schließen lässt, dass sie nicht dauernd hier leben, sondern zum Betteln herkommen) und natürlich auch kein Englisch. Als die jungen Frauen bemerken, dass ich der älteren Frau mit dem behinderten Mädchen helfen will, stürzen sie sich auf mich, wollen sofort wissen, wo ich wohne, wollen meinen Namen, meine Telefonnummer, damit mich jemand anrufen und mir Auskunft geben kann, der Englisch spricht … Da werde ich vorsichtig. Ich frage, ob ich ein Foto machen darf, gebe der älteren Frau 500 NR (das sind nicht einmal 5 €) und ziehe mich so schnell wie möglich zurück. “I’ll come back in a few days!”

Ein sehr engagierter Nepalese, der in der Behindertenhilfe arbeitet und auch mit Bettlern zu tun hat (wenn sie behindert sind und beispielsweise einen Rollstuhl brauchen) bestätigt meine Vermutung. Er rät mir sogar eindringlich, mich nicht tiefer mit dieser Gruppe einzulassen, da ich dem Mädchen ohnehin nicht helfen könne und jeder nähere Kontakt auch für mich gefährlich werden könnte.

Vielleicht mache ich einen Fehler, aber … Es gibt einen anderen Weg zum Stupa. Er ist staubig, viele Motorräder.

Security für die Tauben

Neben dem Rundweg um den Stupa von Boudha gibt es einen mit Seilen abgetrennten Bereich, der von mindestens zwei, meistens von drei Sicherheitskräften bewacht wird, darin Wassergefäße, unglaublich viel Futter und unglaublich viele Tauben. Gelegentlich werden sie von irgendetwas aufgeschreckt, dann erhebt sich der ganze Schwarm wie auf Kommando, Futter und Dreck und jede Menge Bazillen fliegen den Stupabesuchern um die Ohren und ins Gesicht, und lässt sich auf der großen weißen Kuppel des Stupa nieder wie dunkler Streussel auf einem Berg Schlagobers. Aber es dauert nicht lange und die Riesenschar kehrt an den sicheren Futternapf und zu ihren bewachten Trink- und Badegewässern (mit Wasser gefüllte Stein- und Plastikwannen) zurück.

Ich wollte es nicht glauben und fragte einen der Männer mit Security-Weste, was sie denn hier bewachen. Doch nicht etwa die Tauben? Doch. Natürlich die Tauben. Hin und wieder versuche nämlich jemand, sie zu verscheuchen oder sogar eine von ihnen zu töten! Oder diejenigen, die sie füttern, daran zu hindern … Und das sind viele, auch viele Mönche. Körner und sonstiges Futter stehen in großen Säcken bereit zum Verkauf. An Samstagen (wie bei uns Sonntag) und Feiertagen, wenn besonders viele Gläubige den Stupa umrunden, sitzen bis zu sechs Frauen mit Unmengen, in Schüsselchen bereits portioniertem, Futter am Rand des Taubenparadieses und warten auf Abnehmer. Die Tiere zu füttern und zu schützen scheint eine religiöse Pflicht.

Security für Waisenkinder. Wie wär’s damit? Für hilfsbedürftige Menschen. Sie zu schützen ist keine religiöse Pflicht?

Der Mönch und seine Schwester.

Eine kleine Gompa am Rand des Waldes. Irgendwie auch am Rand des Dornröschenschlafs. Auch die Baustelle unmittelbar vor dem Gebetsraum wirkt eingeschlafen. Verstaubt. Blumen wuchern, alles wuchert. Wunderbar verwildert. Sonne scheint. Ich verschwitzt. Auf der Stiege vor der Gompa ein Mönch. Wie der Wächter des Schatzes im Silbersee. Und wie dieser hat er den Neuankömmling längst entdeckt.

“May I come in?” Erfreut über den unerwarteten Besuch springt er auf, lacht mich an. “Of course. Come in!” Im Nu entledigt er sich der obligaten Gummischlapfen, die hier so gut wie jeder trägt (und zwar zu jedem Anlass - egal, ob Arbeiter auf einer Baustelle, alte Tibeterinnen in ihrer Tracht, junge Schönheiten in feiertäglichen Glitzergewändern, Mönche … - die nackten Füße stecken in Gummischlapfen oder in Turnschuhen, Sandalen sieht man bei den Touristen, normale Schuhe trägt hier so gut wie keiner und wenn doch, stechen sie ins Auge wie neonfarbene Blinklichter) und verschwindet mit einer einladenden Handbewegung ins Innere des Gebetsraumes. Ich ziehe meine Turnschuhe aus und folge dem liebenswerten dünnen Mann dankbar in den Schatten des Innenraums.

Mein erster Eindruck vom Dornröschenschlaf scheint nicht ganz falsch. Was ich hier sehe, ist nicht nur ein Gebets- sondern auch ein Wohn- und Schlafraum. Mindestens  zwei Betten, eine Bank, Säcke, Gewand … Der Mönch führt mich sofort nach vorne, zur Buddhastatue und den Bildern, sonstigen Statuen, Lichtern, Gefäßen (bei uns würde man Altar sagen), gibt mir bereitwillig auf alle meine Fragen Antworten,  beginnt dann etwas zu beten. Für mich sei das gewesen, erklärt er mir nachher, er habe jetzt für mein Glück gebetet und wenn ich wolle, könne ich jetzt etwas spenden. Er macht dabei einen so ernsthaften und liebenswerten Eindruck, dass ich mich über seine Frage nach einer Spende (auf die ich mittlerweile zunehmend allergisch reagiere) gar nicht ärgere. Dabei zeigt er auf das Gefäß, das in jedem Gebetsraum zu finden ist und in dem immer Geldscheine stecken, längs gefaltet, wie Blumenblätter, im konkreten Fall nicht allzuviele und zum Teil schon reichlich vergilbt, wie mir scheint. Übermäßig viele Besucher dürften nicht in diese Gompa kommen. Allerdings liegen auch Mandarinen und Bananen daneben. Ob er die hingelegt hat? Auch Kekse. Von denen will er mir gleich eine Packung in die Hand drücken … Dann erzählt er von der neuen Gompa, die er mit dem Geld errichten will, gleich hier vor der Tür. Er zeigt auf das seltsame Baugerüst.

Da regt sich etwas im hinteren Teil des Raumes. Erst jetzt bemerke ich, dass in einem der Betten jemand liegt. Eine alte Frau. “That’s my sister. She is old and very sick.” Die alte Frau liegt unter fast ebenso alten Decken, still und ergeben in ihr Schicksal. “Does she need medicine?” “Yes, but we don’t have any money.”

Ich gebe ihm Geld. “This money is for your sister, not for Buddha. Buddha doesn’t need any money.”

Er lacht mich an, freut sich sichtlich, geht mit dem Geld zum Bett seiner Schwester, redet mit ihr. Für mich ist es Zeit zu gehen. Ich verabschiede mich von den beiden und wünsche der alten Frau alles Gute.

Wo das Geld wohl landen wird? Bei einem Arzt oder Apotheker oder doch in diesem suspekten Gefäß? Und wenn es in diesem suspekten Gefäß landen sollte, um dort zu verstauben und zu vergilben - wird dies auf Geheiß des lieben Mönchs oder auf Wunsch seiner kranken Schwester geschehen?

Dem Lichterfest geht langsam die Luft aus

Die Mandalas vor den Häusern verschwunden, weggefegt von der Begeisterung der letzten Tage. Die Bettler zum großen Teil auch. Sogar die Dauergäste vor dem nahegelegenen Kloster fehlen. Musikgruppen mit disabled people selten. Die Live-Musik irgendwo in der Nähe meines guesthouses, die mich gestern so furchtbar genervt hat, kommt bis jetzt ohne Entertainer aus. Die Lieder und die Lautstärke gedämpfter. Die Gesichter heute auch. Viele müde. Die Straßen untertags überraschend leer, sehr viele Geschäfte und Lokale, anders als in den letzten Tagen, geschlossen. Berge von Müll. Auch die Hunde sind heute müde, vielen baumeln die vertrockneten Blumengirlanden noch um den Hals. Bis morgen müssen sie noch durchhalten. Dann sind sie wieder die Herren der Nacht.

Die nächsten Feste wann? Jänner, Feber, April, … immer nur einzelne Tage. Richtig gefeiert kann erst wieder im Oktober werden.

21 Uhr. Die Musik rundherum und das Gejohle werden rapide lauter. Wie in den letzten Tagen. Es brodelt noch einmal richtig in Kathmandu wie in einem Kochtopf.

Der Alltag morgen kommt früh genug.

Besuch einer Freundin

Rundherum wird gefeiert, gesungen, getanzt. Musikgruppen gehen von Haus zu Haus, vor vielen Türen stehen Verwandte, Bekannte oder Kinder und singen, bis die Hausfrau mit etwas Kuchenähnlichem, das aber kein Kuchen ist, und Kerzen herauskommt und die Singenden bewirtet. Ein Lastwagen mit tanzenden jungen Mädchen auf der Ladefläche fährt vorbei. Familien in wunderschönen Trachten. Kleine Mädchen wie Feen angezogen (kein Schmäh). Flügel mit Lichtern am Rücken befestigt.

Früher oder später kommt sie und legt in diesem bunten Durcheinander liebevoll den Arm um mich. Das ist bei Festen wie diesen wie das Amen nach dem Gebet. Seit heute Früh weicht sie nicht von meiner Seite. Die Einsamkeit.

Wie füllen wir beide den heutigen Abend? Hast du vielleicht die Fähigkeit, diese grauenhafte Dauerbeschallung abzustellen? Damit würdest du mir einen riesengroßen Gefallen tun. Irgendwo muss hier eine Live-Bühne sein. Irgendwo in diesen engen, staubigen, unendlich armseligen Gassen, vielleicht auch irgendwo in einem vermüllten Hinterhof muss Platz für Live-Musik, einen Entertainer und johlendes Publikum sein. Die Begeisterung und Ausdauer sind bewundernswert. Trotzdem. Schieß sie bitte auf den Mond. Oder bring sie sonst irgendwie zum Schweigen. Bitte!

Frauen im Rollstuhl tanzen.

Wunderschön sind sie. Es gibt in dieser Tanzgruppe Frauen, die im Rollstuhl sitzen und tanzen und Frauen ohne Rollstuhl, die tanzen. Alle in leuchtenden Gewändern, “Goldschmuck” im Haar, strahlenden Gesichtern, von der Begeisterung der umstehenden Zuschauer zu Höchstleistungen angespornt. Und das seit vielen, vielen Stunden. Die Männer dieser Disabled Tanzgruppe in ihren Rollstühlen bilden einen Halbkreis um ihre Schönheiten und lassen sie arbeiten bzw. Geld verdienen. Sie sind die Hauptattraktion am Stupaplatz in Boudha heute.

Aber bei weitem nicht die Einzigen, die etwas von der Großzügigkeit und Spendenfreude der Feiernden, Touristen, Sinnsuchenden und Gläubigen während des Lichterfestes abbekommen und mitfeiern wollen. Waren es zumittag zwei Gruppen Blinde mit Musik, zwei einzelne Blinde mit Musik, eine singende und musizierende Rollstuhlgruppe und zwei Tanzgruppen mit Behinderten, waren es fünf Stunden später unzählige, Blinde, Behinderte jeder nur denkbaren Art, unglaublich verformte Körper, Mütter mit kranken Kindern, Alte … Nahezu ohne Abstand zueinander standen, saßen, spielten, tanzten sie fast wie ein Bollwerk um den Stupa herum.

Und die Menschen geben. In diesen Tagen des Lichterfestes geben sie. In diesen Tagen sind die Brieftaschen und Herzen einen Spalt breit offen und alle feiern mit allen. Nur einige ergreifen die Flucht vor dieser schieren Masse und Lautstärke. Wie ich. Und andere gehen in ihr und der allgemeinen Begeisterung unter. Wie die Hilfesuchenden, die in keinen Lautsprecher brüllen, die nichts anzubieten haben, die nur am Boden sitzen und die Vorbeigehenden bittend anschauen.

Jetzt ist es 22:00 und die Musik und das Tohuwabohu rundherum werden immer noch lauter. An Schlaf ist noch Stunden nicht zu denken. Aber ich hab ein warmes Bett. Mein Tablet. Ein Buch. Und irgendwann ganz wichtig: Ohropax

Draußen knallt es, fast wie bei uns zu Sylvester.

Lautsprecher, Musik, Gekreische. Höchste Zeit, mich ins gemütliche Bett zurückzuziehen und mit Obst und köstlich scharfen Masala-Chips vollzustopfen. Der zweite Tag des Lichterfestes. Tihar. Wie laut wird es am fünften (und letzten) sein???

Der frühe Abend war fein. Die Mandalas auf den Straßen vor den Hauseingängen waren so gut wie fertig, die Kerzen wurden angezündet. Wunderschön. Grund für das alles: Mit Mandalas und Teelichtern soll die Göttin des Reichtums und des Glücks in die Häuser gelockt werden.

Jetzt aber ist es richtig laut. Die Nepalesen feiern, was das Zeug hält.

Die Straßenhunde wundern sich heute sicher über nichts mehr. Zuerst wurden ihnen - als Torwächter Yamrajs, des Totengottes, der auch mit dem Lichterfest in Verbindung steht - Blumengirlanden umgehängt, sie wurden mit roter Farbe beschmiert und es wurde ihnen ein spezielles Fressen zubereitet. Und jetzt müssen sie sich vor den Feuerwerkskörpern und johlenden Menschen in Sicherheit bringen.

Morgen sind die Kühe dran … als Symbol für Lakhsmi, die Glücksgöttin, und als Seelenführer in Yamrajs Unterwelt …

Man könnte jetzt meinen, das sei ein lupenreines Hindufest. Ist es aber nicht. Bei den buddhistischen Pujas wird heute und in den nächsten Tagen richtig Geld gescheffelt. Die Gläubigen stehen Schlange vor dem Kabäuschen in/neben dem großen Stupa, um Geld und alles Mögliche für ihr Seelenheil und Glück dort abzugeben …

Sogar Geldwechsler sitzen auf der Straße, vor sich ein Stockerl, darauf jede Menge Geldstapel. Ich stand eine Weile und schaute dem Tauschhandel zu. Was soll das? Der eine gibt nepalesische Rupien hin, der andere gibt nepalesische Rupien zurück ????? Schließlich wurde ich aufgeklärt, dass hier gebrauchte Scheine gegen neue eingetauscht werden. Der Wechsler verlangt natürlich etwas dafür, aber die Nepalesen sind gern bereit, für neue Scheine zu bezahlen, die sie anschließend bei den Mönchen abladen oder ihren Liebsten schenken.

SEHR seltsames Volk.

Die erste Nepalesische Para-Taekwondo-Spielerin

Eine junge, trotz Verbrennungen im Gesicht sehr hübsche Frau. Ein Arm fehlt ihr.

Ihr erging es wie vielen Kindern in Nepal im Alter von etwa 6 Monaten. Ihre Eltern ließen sie in der warmen Küche schlafen, während sie zur Arbeit gingen. Und als sie aufwachte, krabbelte sie auf die Feuerstelle zu … Weglaufen konnte sie dann nicht… Offenbar kam sie auf die linke Körperhälfte zu liegen. Nach einer Infektion musste ihr später der linke Arm abgenommen werden.

Jetzt ist sie eine unglaublich starke Frau und die Präsidentin der “Burn Survivor Disabled Society Nepal”.

60.000 Unfälle mit Verbrennungen würden in Nepal jährlich passieren, die meisten Opfer Frauen (beim Kochen oder absichtlich herbeigeführte Verbrennungen durch erzürnte Schwiegersöhne wegen zu geringer Mitgift, Ehemänner oder enttäuschte Liebhaber) und Kinder im Alter von etwa 6 Monaten (in diesem Alter können sie schon zur Feuerstelle oder zum Herd hinkrabbeln, aber noch nicht wegrennen).

Sie schildert die vielen Probleme der Betroffenen, vor allem der Frauen. Sie seien nicht nur mehr oder weniger entstellt und hätten dauerhafte körperliche Beschwerden, sie würden von der Gesellschaft auch systematisch ausgegrenzt. Ihre Familien würden sie oft ablehnen, sie würden keine Arbeit finden, keine Wohnung, keine Freunde. Viele würden in ihrem Leben keinen Sinn mehr sehen und sich umbringen. Daher müsse nicht nur den Frauen geholfen werden (durch Therapieangebote, medizinische Hilfe, Übergangswohn- und Arbeitsmöglichkeiten), es müsse auch massiv Aufklärungsarbeit in der Gesellschaft betrieben werden, da jede Form der Behinderung vor allem im ländlichen Bereich von Nepal immer noch als irgendeine Form der gerechten Strafe für irgendeine Verfehlung angesehen wird.

Irgendwann im Laufe des Gespräches taucht in meinem Gehirn ein Gedanke auf: Die Waisenkinder, die zur Zeit ganz jämmerlich mit Blinden, Alten, psychisch Kranken in diesem “Blind Center” untergebracht sind, und diese “verbrannten Frauen”, die ihr früheres Leben verloren haben und jetzt zwischen allen Stühlen hängen …

Wenn man diese zwei Gruppen zusammenführen würde - Könnte das eine win-win-Situation sein?

BIA Bodhisattwas In Action

Der Name ist 50 Stockwerke zu hoch gegriffen, aber die Einrichtung - ebenfalls für Behinderte - ist beeindruckend.

Gegründet 2014 von einem Buddhisten und betrieben ausschließlich mit Spendengeldern und den Erlösen aus dem Verkauf der durch die Behinderten hergestellten Waren und deren Dienstleistungen.

Hier werden Künstler, zumindest Kunsthandwerker ausgebildet!

An zwei Standorten gibt es verschiedenste tolle Handwerksprojekte: Thanka Malen, Thankas durch Applikationen herstellen, Teppiche weben, Metallstatuen herstellen (für die Nepal berühmt ist, wie etwa Buddhastatuen), Holzschnitzereien, Dhakas (ein spezieller Stoff, aus dem Schals und Kappen hergestellt werden), Malas (Ketten zum Mantraszählen, ähnlich wie bei uns Rosenkränze), Räucherstäbchen (ich wusste bisher nicht, dass die Masse, die aus Kräutern hergestellt wird, durch etwas wie eine Faschiermaschine gedreht wird …), Handwerk aus Bambus, Stoff, Sticken, Nähen, Malen, Kunsttherapie, Reparaturarbeiten, Landwirtschaft.

Und viel Sport. Es gibt mittlerweile einen Rollstuhlmarathon, Rollstuhl-Basketballspieler, Rollstuhl-Cricketspieler, Schwimmer …

Ich habe in der Einrichtung in Kathmandu kein einziges trauriges Gesicht gesehen. Nicht einmal ein teilnahmsloses. Alle waren gut drauf. Mit Eifer und Freude dabei.

Derzeit arbeiten 135 Behinderte in diesen beiden Einrichtungen. Teilweise wohnen sie dort, teilweise außerhalb.

Da der Gründer ein bekannter Rinpoche ist, hat er natürlich einen entsprechenden Pool von Spendern und Spendengeldern, ohne die dieses Projekt in dieser Form nicht möglich wäre. Aber auch hier besteht das Problem der auslaufenden Pachtverträge … Dank der fleißigen Spender konnte in Pharping (30 km außerhalb von Kathmandu) ein Grundstück erworben werden und sobald genug Geld vorhanden ist, wird mit dem Bau begonnen. Ich glaube, wer sich hier in die lange Reihe der Spender einreiht, legt sein Spendengeld sehr gut an. Hier gibt es keine schnell aufgestellten Wellblechhütten. Dieses Projekt hat Hand und Fuß. Besser: viele Hände und viele Füße und ein paar engagierte Superköpfe dahinter.

Wär das was für mich und meinen Vorsatz, mein Erbe sinnvoll einzusetzen? Oma, was meinst du?

Im Internet übrigens gar nicht so leicht zu finden. BIA Institute.

Possible Life Center

Auch Privatinitiative, auch Wellblech, auch engster Raum, auch durch Polio oder Verbrennungen deformierte Menschen. Aber im Unterschied zum Disabled Service Center leben hier keine behinderten Einzelpersonen, sondern Familien, in denen beide Elternteile schwer behindert sind. 6 Ehepaare mit insgesamt 10 gesunden Kindern. Jede Familie bewohnt einen Wellblechraum.

Was sofort auffällt: Die Stimmung und Energie ist hier eine völlig andere als im Disabled Service Center. Unglaublich, wieviel Kraft und Freude Menschen aus einer Familie erwachsen kann! Auch hier wird gearbeitet, auch hier gibt es Menschen, die auf allen Vieren gehen, auch hier gibt es Bein- und Armamputierte, der Leiter dieses Centers sitzt ebenfalls im Rollstuhl, ist klein, dünn und wenn er den Rollstuhl verlässt, wird erst sichtbar, wie verkrümmt er ist. Trotzdem lacht er und ist sehr, sehr freundlich. Und fordert nichts. Die Frauen sind ohne Ausnahme schön (tatsächlich!), tragen leuchtende Gewänder, darunter entweder Armstummel, Beinprothesen oder völlig verschieden lange Beine, und zeigen mir mit Stolz ihre sauberen, winzigen Wohnbereiche und vor allem ihre gesunden Kinder, die alle dank Spendengeldern eine Privatschule besuchen können und so die bestmögliche Ausbildung erhalten. Und jeder der Männer hier ist stolz auf seine schöne Frau (”Die hier ist meine!”) und auf die gesunden Kinder.

Mir war bis zum heutigen Tag nicht bewusst, was Polio mit Körpern anstellen kann. Und auch nicht, welche Kraftzelle eine Familie sein kann. Diese Menschen bewältigen ihr Leben und sie leben es mit Freude. Miteinander.

Disabled Service Center

Auch hier Wellblechhütten. Auch hier auf kleinstem Raum. Auch hier Privatinitiative. Derzeit leben 32 Personen hier. In den kleinen Räumen (um nicht zu sagen Verschlägen) Bett an Bett an Bett … Die meisten sind körperlich schwer behindert. Viele sitzen im Rollstuhl, ihre Körper sind auf verschiedenste Art deformiert. Ursache meist Polio. Manche sind so deformiert, dass sie außerhalb des Rollstuhls auf allen Vieren daherkommen. Auch Verbrennungen sind hier in Nepal oft Ursache für schwere Behinderungen bzw. Amputationen. Und natürlich Unfälle. Unterstützung vom Staat: maximal 4.000 NR (28€) pro Monat. Wer hier nicht behindert ist, ist sehr alt, hat keine Familie, die ihn/sie unterstützt und kein Geld.

Die Behinderten, die irgendwie können, werden in Fertigkeiten wie Nähen, Basteln, Stricken, Sticken geschult, damit sie zu ihrem Lebensunterhalt beitragen und ihre Tage mit etwas wie Sinn füllen können. Die hergestellten Sachen versuchen sie, auf der Straße und im Center zu verkaufen. Der fromme Wunsch bzw. das Ziel ihres Aufenthalts im Disabled Service Center ist, dass sie das Center irgendwann wieder verlassen und ihr Leben aus Eigenem bestreiten können. “Aber wir zwingen niemand, wieder zu gehen.”

Abgesehen von den wirklich widrigen Lebensumständen dieser Menschen ihr größtes Problem: Der auf 10 Jahre abgeschlossene Pachtvertrag läuft in zwei Jahren aus und der Eigentümer will ihn nicht verlängern, sondern das (kleine) Grundstück verkaufen - um stolze 145.000 €. “Wir müssen dieses Geld mit Spendengeldern zusammenbringen!” So der Leiter des Centers, ebenfalls im Rollstuhl. Vehement. Und immer wieder wie ein Mantra. Auf meine Frage: “Wie wäre es mit einem Grundstück außerhalb von Kathmandu?” “Nein! Wir wollen nicht von hier fort! Da können wir unsere Sachen nicht verkaufen!”

Dann träum weiter. Aber ohne mich.

“Today I’ll show you the Blind Center!”

Von wegen …

13 komplett Blinde, 3 “half blinds”, 3 psychisch Kranke (ein Ehepaar mit erwachsenem Sohn), 6 alte Menschen, die keine Bleibe haben, 3 Behinderte im Rollstuhl, 7 Kinder von Blinden, die hier leben und 13 Kinder, die entweder Vollwaisen sind oder deren Eltern so arm sind, dass sie die Kinder nicht ernähren können. Insgesamt also 48 Personen (derzeit). Plus mindestens eine Kuh, Hühner, ein Hund und eine junge Katze.

Und alle diese Menschen und Tiere (die Tiere haben keinen eigenen Stall, die Kuh, die ich sehe, ist unter einem Wellblechdach neben den Wohnbereichen angebunden, der Rest läuft frei herum) leben auf kleinstem Raum dicht an dicht in Wellblechhütten rund um einen winzigen Platz, in dessen Mitte unter einem notdürftigen Dach lange Tische und Bänke aufgestellt sind. Hier wird gegessen und die Kinder können hier die Schulaufgaben machen, wenn sie sie machen, denn Betreuer gibt es keinen. Das jüngste Waisenkind ist vier Jahre.

Reiner Luxus ist ein Gebetsraum und ein WC für Gäste. Die sanitären Anlagen und die Küche spotten jeder Beschreibung.

Eine junge Frau führt mich durch. Mich wundert, dass ich keine Ratten und Mäuse herumflitzen sehe, denn geben tut es sie hier mit Sicherheit.

In jedem der Wellblechverschläge - egal, ob ein blindes Paar mit Kindern dort wohnt oder in vier Betten acht Waisenkinder hausen, oder Behinderte im Rollstuhl oder die psychisch kranke Familie - bekomme ich auf meine Frage “Wer putzt hier?” die gleiche Antwort. “Sie selber.”

Wie putzt ein Blinder, eine Frau im Rollstuhl, ein psychisch Kranker? Wie putzen Kinder?

Gekocht wird von der Volontärin, die mich durchführt und einen Mann gibt es, der die Reparaturen überhat.

Neben diesem Mini-Slum, der als Privatinitiative ins Leben gerufen wurde und auf gepachtetem Boden steht, gibt es eine Fläche, die der Staat für den Anbau von Gemüse zur Verfügung stellt, Wohngebäude dürfen dort keine errichtet werden.

“Bekommen die Menschen vom Staat finanzielle Unterstützung?” “Die vollständig Blinden und die, die den ganzen Tag nur im Bett liegen können, bekommen 4.000 NR pro Monat (28€), die weniger stark Behinderten die Hälfte.”

Wer in der Landwirtschaft mitarbeiten kann, tut es, die vollständig Blinden gehen in Begleitung ihrer sehenden Kinder betteln (obwohl Betteln verboten ist …)

Alle Kinder gehen in die Schule und der Vierjährige in den Kindergarten. Die Kinder gehen allerdings in die staatliche Schule, weil “zuhause” niemand mit ihnen lernt und sie daher in einer Privatschule nie mitkommen würden. “Das wäre Verschwendung von Spendengeld.”

Das Schulgeld, Geld für Gewand, Blindenstöcke, Rollstühle und alles, was unbedingt notwenig ist fürs Überleben dieser zusammengewürfelten Gemeinschaft kommt von privaten Spendern. Es reicht zum Existieren.

Mein Hirn steht still.

Eigentlich hätte heute ein PUJA-Tag werden sollen …

Nicht dass ich mit dem tibetischen Buddhismus, der hier gelebt und gelehrt wird, etwas anfangen könnte - das habe ich vor 10 Jahren in einem Kloster hier in Nepal sechs Wochen lang versucht, zu meiner Enttäuschung aber festgestellt, dass dieser Zweig des Buddhismus vor Regeln, Fegefeuern und Höllen nur so strotzt und mit dem, was ich mir unter Buddhismus vorstelle, nichts zu tun hat.

Ich wollte heute nur den Gebeten der Mönche zuhören und ihren Rhythmus und die eigenartige Musik auf mich wirken lassen. Und da heute ein besonderer Tag für die Buddhisten ist (heute wird der Aspekt der WEISHEIT besonders geehrt) und sich die Pujas daher über den ganzen Tag erstrecken, wird heute ein Puja-Tag, dachte ich.

Nach zwei Stunden war der Puja-Tag für mich vorbei und ich flüchtete entsetzt in ein Kaffeehaus. Was für ein lächerliches Schauspiel!

Was hier geschieht, kann doch kein ernstzunehmender Lama oder Mönch gut heißen. Das ist lupenreiner Ablasshandel! Die Gläubigen kommen der Reihe nach in den Gebetsraum, aber nicht um zu beten, sie lassen sich vom Lama oder Obermönch “blessings” geben und einen weißen oder gelben Schal umhängen und gehen anschließend mit einem dicken Geldbündel in der Hand von einem Mönch zum anderen und legen Geldscheine vor jeden einzelnen hin. Und wenn sie damit fertig sind, gehen sie zu einem Behältnis, in dem schon Unmengen an Geldscheinen stecken und stopfen noch weitere hinein. Damit lassen es einige gut sein und verlassen zufrieden den Gebetsraum - damit ist der Weisheit offenbar gehuldigt genug - , andere setzen noch eins drauf und werfen sich vor der Mönchsgemeinschaft in Pose für ein Selfi, das sie anschließend ihren Followern schicken? Kein Einziger betet mit. Ich habe keinen der Laien beten sehen. Vielleicht wissen sie gar nicht, was die Mönche daherleiern und denken, das Beten ist der Job der Mönche, dafür werden sie schließlich von ihnen bezahlt …

Das mitansehen müssen … diese Winzigkeit auf beiden Seiten … diese Erbärmlichkeit auf beiden Seiten …

Was bitte geht im Hirn dieser Mönche und Lamas vor? Glauben sie allen Ernstes, sie könnten/müssten dem Einzelnen seinen Kontakt zum Geistigen (abgesehen vom Mantraherleiern) abnehmen? Glauben sie tatsächlich, sie könnten mit ihrem angelernten Dohuwabohu an Sprüchen, Bewegungen und Ritualen die Situation auf der Welt zum Besseren wenden?

Und die sogenannnten Gläubigen glauben das auch? Nach dem Motto: “Da Papa wird’s scho richt’n. Das g’hört zu seinen Pflicht’n.”

Ich bin immer noch halbwegs fassungslos. Beim Buddhismus hätte ich das nicht erwartet, zumindest nicht in dieser Ausprägung. Aber ich habe mittlerweile köstliche Momos mit Gemüse und Käse gegessen und jetzt gibt’s noch einen Cappucino. Ob mit oder ohne Mehlspeise bleibt abzuwarten.

Und morgen fahre ich in ein Behindertenzentrum und schaue, wie und ob ich mich in den letzten Wochen meines Nepalaufenthaltes nützlich machen kann. Danke, ihr sinnlosen Mönche für diesen ungewollten Arschtritt!

“Are you travelling alone, mam?”

Diese Frage höre ich oft. Und meine Antwort ist immer die gleiche: “Yes, I’m travelling alone.” Die Frage nach meinem Alter trauen sich die meisten dann nicht mehr zu stellen. Es ist offenbar ungewöhnlich, dass ältere Damen allein in der Weltgeschichte herumgondeln.

Ich bin sehr zufrieden damit. Es hat eine Zeit in meinem Leben gegeben, da habe ich mir nichts zugetraut. Überhaupt nichts. Seither ist viel Zeit vergangen und ich habe einen langen Weg zurückgelegt. Jetzt bin ich 67 Jahre alt und reise allein durch Nepal. Suche mir Orte aus, wo ich hin möchte, organisiere mir Zimmer und Transportmittel. Und dann besuche ich einen Ort nach dem andern.

“Dass du dir das noch antust!”, sagen die, die noch nie in ihrem Leben allein eine Reise unternommen haben und sich das auch nie getrauen würden. Ja, ich tu mir das an. Seit vielen Jahren. Dass ich mein Leben selbst gestalte und meine Entscheidungen selbst verantworte. Und tue, was mir wichtig ist, egal, ob mich dabei jemand begleitet oder nicht.

Das ist ein gutes Gefühl. Die eigenen Beine zu gebrauchen. Und es hält fit. Nicht nur körperlich.

Außerdem ist es eine gute Übung. Denn irgendwann muss jeder gehen. Allein.